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Eine kleine Zusammenstellung für ein Seminar über Vorurteilsforschung, Wintersemester 1965/66
Beschreibung
Neben dem Laboratoriumsexperiment mit dem "autokinetischen" Phänomen", das der von der Türkei nach den USA eingewanderte Psychologe Muzafer Sherif Mitte der dreissiger Jahre durchführte, ist auch sein "Ferienlager" (1949 und 1953, 1954) bekannt geworden.
Es handelt sich dabei um mehr oder weniger systematische Gruppenbildungs- und -verhaltensexperimente in kleinem Rahmen: Etwa zwei Dutzend Knaben im Alter von ungefähr 12 Jahren, psychisch normal und aus ähnlichen sozialen und bildungsmässigen Verhältnissen, trafen sich in einem Sommerlager. Die Versuchsreihe bestand in einem vierphasigen Schema, wobei jedes Stadium drei bis fünf Tage dauerte:
I. Erste Kontaktnahme und spontanes Zusammenschliessen.
II. Zweiteilung des Lagers (auf Grund einer soziometrischen Befragung - nach J. L. Moreno - so, dass vorwiegend Knaben zusammenkamen, die sich vorgängig nicht besonders aneinander angeschlossen hatten).
III a. Bildung des Binnen-Gruppen- und Aussen-Gruppen-"Bewusstseins'". Rollendifferenzierung (Führer und Spezialisten) und Stereotypenbildung (nach Tüchtigkeit und Beliebtheit).
III b. Kräftemessen und "Freilassen" der Aggression.
IV. Rückgliederung in eine gemeinsame Grossgruppe auf Grund von zusammenfügenden Situationen (welche sein können: gemeinsame Gegner, Not, Vorteile, Freude).
Vorurteile
Betrachten wir, was bei dieser forcierten Gruppendynamik in bezug auf Vorurteile wesentlich ist: Das 2. Stadium ist hier wichtig: Am Ende dieser Periode ergab die soziometrische Befragung, dass etwa 90 Prozent der Vorlieben auf Mitglieder der eigenen Gruppe und 10 Prozent auf Mitglieder der "fremden" Gruppe entfielen. Am Ende der 1. Periode hatte die Vorzugswahl zu 65 Prozent Knaben gegolten, die dann der "andern" Gruppe zugeteilt wurden.
Die Formulierung der Vorurteile lautete etwa so: "Wir haben uns alles so nett eingerichtet, wir sind ausserdem alle tüchtige Sportler, bei den ‚andern’ klappt es sicher nicht so gut, die können sich mit uns überhaupt nicht messen." Das ging soweit, dass sogar der Name der "andern" Gruppe zum Schimpfnamen wurde. Es ereigneten sich auch Tätlichkeiten (wie Überfälle und Raufereien).
Kritik
Für uns am interessantesten aber ist es zu sehen, wie im 4. Stadium diese Animosität sehr schnell abgebaut wurde und eine neuerliche Befragung bei beiden Gruppen überwiegend positive Prädikate in bezug auf die "gegnerische" aufzeigte. - Das zeigt aber gerade, dass wir uns vor der Überschätzung dieses Experimentes hüten müssen. Im Hinblick auf Bildung und Abbau von Vorurteilen kann es keinesfalls stichhaltig sein. Die Zeitspanne ist viel zu kurz, das Gruppengefüge zu locker. Die Informationen über die "andere" Gruppe sind so ungenügend - infolge der vollständigen Isolierung voneinander -, dass in den Urteilen keine Differenzierung stattfindet; die Klischees erschöpfen sich in "weniger gut, sportlich ... als wir", genauso wie das Auto-Stereotyp nur lautet " wir sind (viel) tüchtiger, kameradschaftlicher ... als die andern".
Wenn dieses Experiment dennoch immer wieder als Beispiel für die empirische Vorurteilsforschung herangezogen wird, dann nur, um zu zeigen, dass Stereotype und negative Vorurteile entstehen und wieder verschwinden können, nicht aber um herauszufinden, welches die tiefenpsychologischen Hintergründe und Ursachen der doch ungleich tiefer und hartnäckiger verwurzelten Vorurteile im täglichen Leben sind.
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