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Zum Report John Doe/ Leonard C. Lewin: Report From
Iron Mountain On the Possibility & Desirability of Peace. New York: Dial
Press 1967; Neuausgabe New York: The Free Press 1996;
Basler Nachrichten, 3. Mai 1968 unter dem Titel: „Keine Chance für den Frieden“ Neue Berner Zeitung, 6./7. Juli 1968
http://www.museumofhoaxes.com/iron.html http://www.brothersjudd.com/lewin.htm
Das Böse und die Aggression
Über Ursachen und Sinn des grässlichsten Menschheitsereignisses, das uns so fassungslos macht, des Kriegs und des "sogenannten Bösen", über Neid und Geltungsbedürfnis, Rivalität, Macht, Greuel- und Mordtaten, Egoismus und Fremdheit, wie auch über eine befriedete, "humane", "bessere" Menschheit ist seit jeher viel gerätselt und geschrieben worden - ohne je ein befriedigendes Resultat zu zeitigen: Man stellt nur resigniert fest, dass ein "Leben in Konflikten" des Einzelnen (intrapsychisch) wie der Gemeinschaften gleichermassen unumgänglich - und fruchtbar? - ist.
Aus neuer Zeit stammt die Beobachtung: Friede ist ein derart "guter" Begriff, dass man sich davor in acht nehmen muss, ist es doch verdächtig, dass sich auf der ganzen Welt beinahe jedermann - wenigstens und meist ausschliesslich in Worten und auf dem Papier - "ernsthaft" zu ihm bekennt und ihn, theoretisch, wünscht …
Selten aber überlegt man sich, was geschähe, wenn der Mensch auf seine "Aggression" (Angriffslust) - die in jedem zumindest schlummert - verzichten müsste. Zudem ist neben Hoffnung und Sehnsucht eine ebensogrosse Furcht vor dem Frieden als Weltordnung anzutreffen, denn er macht schutzlos und bedeutet in den verschiedensten Weisen einen "Potenzverlust": Es ist einem unwohl, soll man (radikal) ohne Selbstverteidigung - von Rechten und Freiheiten - Sich-Wehren gegen Unterdrückung und Missstände und kleinere Grausamkeiten auskommen; der Mensch muss sich "abreagieren" können.
Ein Ausweg wäre die Beschränkung auf "Kampf", den Ernst Bloch vom zerstörerischen Krieg unterscheidet und der "geburtshelferisch" der Vernunft dient. Doch speisen sich nicht beide aus derselben Wurzel? Wie errichtet man die Barriere, damit der Kampf nicht in Krieg umschlägt? Können Liebe („Libido“), Freundschaft, Hilfsbereitschaft (Solidarität) und Leistungswille den "Selbstvernichtungstrieb" genügend dämpfen oder gar aufwiegen (komplementär neutralisieren)? Nichts als unbeantwortete und unbeantwortbare Fragen.
Eine amerikanische soziologische Studie
Nun hat Leonard C. Lewin den soziologischen Bericht einer aus fünfzehn führenden amerikanischen Wissenschaftern zusammengesetzten, anonymen und regierungsunabhängigen "Sonderstudiengruppe" – die sich nach ihrem ersten Zusammenkunftsort „Iron Mountain Boys“ nannten - herausgegeben, unter dem sprechenden Titel "Verdammter Friede" (Scherz Verlag, Bern). Bei dessen Lektüre kann man sich eines Schauderns kaum erwehren, weil zweierlei fehlt: ein Philosoph - oder Humanist - im Gremium und die Berücksichtigung des "Einzelnen".
Doch gibt es eben zumindest zweierlei Betrachtungsweisen, die einander entgegenstehen und gleichzeitig ausschliessen:
genauso wie es nicht dasselbe ist, bedenkliche Tatsachen und Tendenzen sowie Feststellungen und Absichten gewisser Forscher und Politiker zur Kenntnis zu nehmen oder diese zu billigen und gar zu befürworten.
www.simonsays.com: Leonard C. Lewin [1916-1998], author of Report From Iron Mountain, is a humorist and editor ["A Treasury of American Political Humor"]. He is now retired and living in the northeast. In his 1972 "confession" of authorship of the Report, Lewin said his intention was "to caricature the bankruptcy of the think-tank mentality by pursuing its style of scientistic thinking to its logical ends."
Dieser äusserst intelligente und scharfsinnige "Report" hat sich konsequent der ersten Perspektive verschrieben, und das ist sein gutes Recht. Er ist unbequem, ja von brutaler Offenheit, doch weder zynisch noch überheblich, sondern ernsthaft, kritisch und - pessimistisch. Aus kühler akademischer (rationaler) Distanz und in bewunderungswürdiger Objektivität, Wertfreiheit und Vorurteilslosigkeit geht es diesen Denkern nur um die Sache, d. h. die Probleme Krieg - Vorbereitung und Auswirkung eines allgemeinen, dauerhaften Weltfriedens. Die enorm weitgespannte, globale Sicht erzwingt dabei ein Vernachlässigen des (irrelevanten) Individuums und von Details, und es gelten die Feststellungen wohl nur für Grossmächte und Länder in akutem Kriegszustand.
Der Krieg als oberstes Gesellschaftssystem
Der in zweieinhalb Jahren (1963-66) entstandene und ursprünglich als geheim behandelte Bericht umfasst knapp hundert Seiten dichtgepackter, wenn auch ab und zu wiederholter und nicht gerade brillant formulierter, bitterer Informationen.
Als Massstab und Ziel wird die Forderung nach dem Fortbestand der irdischen Gesellschaft gesetzt, also ihrer Erhaltung und Stabilität, ungeachtet der Frage, ob die Gemeinschaft dem Einzelnen zu dienen habe oder umgekehrt. Ausgegangen wird von der Korrektur der "irrigen Annahme, dass der Krieg als Institution dem Gesellschaftssystem, dem er dienen soll, untergeordnet ist", denn:
"Obwohl der Krieg als Instrument der nationalen und der Sozialpolitik 'benutzt' wird, ist die Tatsache, dass eine Gesellschaft im Hinblick auf stete Kriegsbereitschaft organisiert ist, wichtiger als ihre politische und wirtschaftliche Struktur. Der Krieg selbst ist das grundlegendste Gesellschaftssystem, innerhalb dessen andere, zweitrangige Gesellschaftsformen sich bekämpfen oder zusammenwirken. Es ist dieses Ordnungsprinzip, das die meisten menschlichen Gesellschaften in der Vergangenheit regiert hat - und noch heute beherrscht. Erst wenn dies einmal richtig verstanden worden ist, wird das wahre Ausmass der Probleme erkennbar, die ein Übergang zum (dauernden) Frieden - der selbst ein Gesellschaftssystem darstellt, aber eines ohne Vorbild, ausgenommen in einigen einfachen vorindustriellen Gesellschaften - mit sich bringt.“ (Der Philosoph hätte hier auf den zum geflügelten Wort gewordenen Ausspruch Heraklits - 500 v. Chr. – hingewiesen: "Der Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König.")
Die nicht-militärischen Funktionen des Krieges
Auf dieser Basis werden eingehend die vielfältigen Abrüstungsprobleme sowie "Möglichkeit und Wünschbarkeit des Friedens" nüchtern erörtert. Neu gegenüber bisherigen Forschungen ist die Darstellung der nicht-militärischen Funktionen des Krieges; sie geschieht in erschreckender Deutlichkeit und wird sehr anschaulich, wenn man etwa – ohne diffamieren zu wollen - an die arabischen Staaten ("Sieg oder Untergang") denkt:
1) Ökonomisch dient das Kriegssystem als "Schwungrad" (Ankurbelung) und zugleich Stabilisator der Wirtschaft (Arbeitskräfte, Investitionen, Produktion, Verbrauch). 2) Politisch sichert es (zusammen mit der Polizei) Ordnung und Zusammenhalt von Staat und Nation, indem es nämlich der Regierung Legitimation und Autorität (Unterordnung der Bürger) garantiert und die Beibehaltung der Gesellschaftsklassen (als Wettbewerbsreiz) gewährleistet - "ein glaubwürdiger nationaler 'Feind' erweckt ein dem Ausmass der Bedrohung angemessene Kampfbereitschaft"; der Krieg (militärisch) "dient der Verteidigung oder der Förderung 'nationaler Interessen' durch organisierte Gewaltmassnahmen". 3) Soziologisch verschafft es asozialen Elementen, Arbeitslosen und destruktiven Tendenzen durch "ihre Verwendung beim Militär eine annehmbare Rolle in der Gesellschaft" (nicht in allen Staaten). 4) Ökologisch (d. h. bezüglich Lebens- und Umweltbedingungen) kontrolliert es - als Erhaltung (nicht Verbesserung) der Menschheit (Art) - das Gleichgewicht zwischen Bevölkerungszuwachs und verfügbaren Nahrungsmitteln (durch den "Blutzoll"). 5) Schliesslich stimuliert es Kunst und wissenschaftliche Forschung.
Fragwürdiger Ersatz dafür
In einer erdachten Welt des abgeschafften Krieges, das heisst des vollständigen, rüstungsfreien Friedens - wo unter anderem die nationale Souveränität dahinfiele - stellt sich nun das immense Problem des Ersatzes dieser regulierenden Funktionen. Als Möglichkeiten werden in Betracht gezogen und geprüft:
Doch "alle diese Ersatzeinrichtungen würden die Funktionen des Krieges nur teilweise erfüllen können"; auch eine wohlabgewogene Kombination reichte nicht aus: Das Umwandlungsprogramm zum Frieden ist heute noch nicht zu bewerkstelligen.
Fazit: Vorläufig lieber Krieg - aber ein präziser analysierter, berechneter und wirkungsvollerer (rationalisierter, optimierter) als bisher (etwa nach dem Motto: Ist der Krieg noch zu retten?) - denn ein nicht zu bewältigender, "nutzloser, unmenschlicher" Friede.
Kurzschluss und fatale Konsequenzen
Dass dies alles viel leichter erdacht als praktiziert werden kann, ist klar. Wie nicht anders au erwarten, empfiehlt die Sonderkommission die Beiziehung von Computern (Datenverarbeitung und heuristische Tests, Simulierung, Problem- und Konfliktlösungs-„Spiele“) und die Einrichtung einer „Krieg-Frieden-Untersuchungsbehörde“ für intensive und umfassende Friedens- wie auch Kriegsforschung.
Schade ist, dass die ganze, stellenweise grauenhafte, harte und unpsychologische Studie wegen der Vermengung politischer, soziologischer und anderer Aspekte trotz aller Sorgfalt etwas konfus wirkt, die "Psycho-Drogen" und Manipulationen am Gehirn als wesentliche Beeinflussungsmittel vergessen worden sind und den Wissenschaftern bei ihren Bemühungen ein verständlicher aber unverzeihlicher Kurzschluss unterläuft: Alle die zum Teil scheusslichen Ersatzeinrichtungen für den Krieg müssten doch mit staatlicher Autorität - um nicht zu sagen (amerikanischer) Selbstherrlichkeit - und Gewaltmassnahmen (globale Überwältigung oder Vergewaltigung) - wogegen sich ohnehin Aufwiegler und Revolution erhöben – durchgeführt, dirigiert und durchgesetzt werden, und das wäre, wie sie selbst "jede Form von organisierter Gewaltanwendung oder Androhung von Gewalt" definieren: Krieg.
So wird das (auf anderem Weg bereits erreichte) fatale Resultat ihres Tätigkeitsberichtes noch besser verständlich: "Ein ständiger Friede ist, wenn auch theoretisch durchaus vorstellbar, praktisch vermutlich unerreichbar. Und selbst wenn er erreicht werden könnte, so wäre dies doch mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht im Interesse einer stabilen Gesellschaft."
Ist aber die Gesellschaft gegenwärtig wirklich so stabil, muss sie überhaupt stabil sein und ist der Krieg mithin unvermeidlich?
Bedenkliche Aussichten fürwahr.
(geschrieben Mitte April 1968; anhand des Manuskript leicht ergänzt)
Der Autor: John Kenneth Galbraith?
Am 29.5.68 sandte der verantwortliche Redaktor des „Tages-Anzeigers“ das Manuskript zurück mit den Bemerkungen:
„Was ‚Verdammter Friede’ anbelangt, sollte man unbedingt in der Besprechung auf die geheimnisvollen Umstände seines Entstehens hinweisen. Man nimmt ja an, dass es die Iron Mountain-Kommission überhaupt nie gegeben hat, dass es eine Fiktion ist, und dass sich unter dem Pseudonym Lewin kein geringerer als Prof. Galbraith verbirgt. Es sind nur Mutmassungen, aber sie sollten erwähnt sein.“
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