HomeFritz Zwicky forderte eine lebenswerte Welt für alle

 

Ein Schweizer Universalgenie macht wieder von sich reden

 

Wenn uns Fritz Zwicky eine Botschaft hinterliess, dann ist es eine uralte. Aber sie ist immer wieder neu: "Die Welt ist krank - wir müssen sie wieder gesund machen!" Was es dazu braucht ist ganz einfach, aber ausserordentlich schwierig: Vorurteile überwinden, den Blick aufs Ganze richten, tatkräftig zupacken. Der Weltraumforscher Fritz Zwicky hat dafür die Morphologie neu begründet und ausgebaut.

 

Kritik im Dienst der Gemeinschaft

 

Seine Familie stammt aus dem Bergkanton Glarus. Er selber wurde 1898 in Varna am Schwarzen Meer geboren. Das lag daran, dass es den Vater - wie schon die Vorväter - als Vertreter der Glarner Fabrikanten in die weite Welt hinausgezogen hatte. Auch Fritz Zwicky lebte und wirkte, nach der Schulzeit in Glarus und Zürich sowie nach Studium und Assistentenzeit an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) , fast ein halbes Jahrhundert im Ausland, in Kalifornien, wo er 1974 starb. Er schreibt über sich und seine Vorfahren: "Wir hoffen, der Welt und unserer Heimat dadurch gedient zu haben, indem wir gleichzeitig die Lokalpatrioten und Weltbürger spielten."

 

Weitgereiste, welterfahrene Menschen - nicht Touristen - sehen manches anders als die Stubenhocker und Verwalter. Wenn sie als "Agenten der freien Welt" aber moralisch verwurzelt bleiben - in ihrem Genius und in dem ihrer Heimat -, dann können sie die daraus resultierende Spannung zwischen Offenheit und Verbundenheit zum Aufbau nutzen. Ihre Kritik dient nicht dem eigenen Vorteil, sondern der Gemeinschaft.

 

Eine Art Nobelpreis für Himmelsforschung

 

Fritz Zwicky wurde berühmt als Astrophysiker und Raketenforscher, durch politisches Engagement und humanitäre Einsätze.

Seine wissenschaftlichen Leistungen liegen in der Entdeckung und Untersuchung unzähliger Himmelsobjekte. Er verbrachte viele Jahre, vorab in den dreissiger und fünfziger Jahren, an den Sternwarten von Mt. Wilson und Palomar. 1933 entwickelte er mit Walter Baade die Theorie, dass eine Supernova durch die Implosion eines ganz gewöhnlichen Sterns entstehe. Das heisst, dieser schrumpft von der Grösse einer Sonne auf ein paar Kilometer Durchmesser und reduziert sich zu einem Neutronenstern mit einer Materiedichte bis zu 100 Millionen Tonnen pro Kubikzentimeter. Dabei werden derart ungeheure Energiemengen frei, dass der Stern hundertmal heller als eine ganze Galaxie strahlt.

 

Zwicky berechnete, dass man pro Jahr vier Supernovae entdecken müsste - und erspähte in den drei Jahren 1937-39 tatsächlich zwölf. Bis Ende seines Lebens entdeckte er insgesamt 123 Supernovae. Viele Objekte am Himmel tragen seinen Namen, z.B. schwache blaue Sterne (Humason-Zwicky-Sterne) und Zwerggalaxien in Sextans und Leo (Zwicky-Systeme). Die Gebilde, die in seinen wichtigen astronomischen Katalogen (1961-71) verzeichnet sind, heissen Zwicky-Galaxien und Zwicky-Cluster. Die von ihm entdeckten kompakten Galaxien stellten sich Mitte der sechziger Jahre als Quasars (quasistellare Radioquellen) heraus. Für seine Verdienste wurde ihm 1972 die Goldmedaille der Royal Astronomical Society in London überreicht, eine Auszeichnung, die dem Nobelpreis entspricht.

 

 

Der erste Schuss in den Weltraum

 

Als wissenschaftlicher Direktor der Raketenfirma Aerojet (1943-49) war Zwicky massgeblich an der Verbesserung von Starthilferaketen sowie von Triebwerken und Antriebsstoffen beteiligt. 16 Patente lauten auf seinen Namen, darunter für Unterwasser-Düsenmaschinen und Terrajets, also Geräte, die sich durch Wasser oder Erde bewegen.

Nach einem gescheiterten Versuch mit einer V-2-Rakete 1946 gelang es ihm zwölf Tage nach dem Sputnik, am 16. Oktober 1957, von der Spitze einer von der Aerojet gebauten Rakete das erste Objekt von Menschenhand auf Nimmerwiedersehen in den Weltraum zu schiessen. Fortan arbeitete er Pläne für Forschungsstätten auf dem Mond aus. 1976 wurde er in der "International Space Hall of Fame" in Alamogordo als hervorragender Raumfahrtpionier gewürdigt.

 

Weltberühmt - populär auch beim "dümmsten Volk"

 

Durch diese Leistungen hielt er Einzug in alle grossen Enzyklopädien der Welt - bis nach Russland und China. Seine vielen Vorträge seit dem Zweiten Weltkrieg - unter anderem an der ETH (1951, 1956, 1971/72) und für die Migros-Klubschule (1958-63) - machten ihn auch in der Schweiz bekannt, ebenso seine drei populären Bücher: "Morphologische Forschung" (1959), "Entdecken, Erfinden, Forschen im morphologischen Weltbild" (1966) und "Jeder ein Genie" (1971). Dass er die Schweizer als das "dümmste Volk" bezeichnete - weil sie ihre Chancen nicht nutzten - stiess freilich manchem übel auf.

 

Fritz Zwicky sprudelte nicht nur als Naturwissenschafter von Ideen über, sondern auch als Bürger. Er lebte "öffentlich", d. h. er trennte nicht zwischen Forschung und Privatleben. Weder gegenüber Kollegen noch Behörden und im privaten Umgang nahm er ein Blatt vor den Mund, gemäss der Devise: "Ehrliche Menschen schätzen ehrliche Rede."

Das machte ihn nicht überall beliebt und schloss ihm manche Türen. Doch vielen einfachen Menschen wurde er durch sein unerschrockenes Auftreten gegen Hierarchien und Vetterliwirtschaft, Bonzen und Versager zum Vorbild.

 

Jeder muss eine "decent organic society" mitgestalten

 

Seit seiner Studentenzeit (1916-20) setzte er sich ein für Frieden und Freiheit, Demokratie und Dezentralisierung. Das waren für ihn nicht leere Worte, sondern Aufträge, und zwar für Politik wie Wissenschaft. Er trat ein für öffentliche Diskussion und internationale Zusammenarbeit, für Achtsamkeit und Bescheidenheit.

Er fand, man müsse das Genie - die Talente und Besonderheiten - des Einzelnen wie der Völker positiv - kritisch, aber konstruktiv nutzen zum Aufbau einer "decent organic society". Jeder muss an der gemeinsamen Gestaltung einer Welt mitarbeiten, die für alle lebenswert ist, einer "friedlicheren Welt mit sanften und organischen Mitteln der Fortbewegung und Energieerzeugung".

 

Fritz Zwicky war enorm vielseitig, ein "ganzer Mensch" heftig, aber gutherzig, hellsichtig, aber stur; das machte ihn vielen unheimlich. Er war seiner Zeit oft weit voraus - und hat doch später recht erhalten.

Seine leichtverständlich geschriebene und auf dem weltpolitischen Hintergrund sehr intime Biographie zeigt es.

 

 

 

War Fritz Zwicky ein "Grüner"?

 

Die Kennzeichnung "grün" entstand Mitte der siebziger Jahre. Heute beanspruchen schon allzuviele, "grün" zu sein, auch Politiker aller Farben. Mit diesen darf Zwicky nicht in Verbindung gebracht werden. Er war ein ebenso ernsthafter wie kreativer Forscher, der sich als "ganzen Menschen" sah und daher seine Verantwortung für die Welt, in der wir alle leben, erkannte.

 

Es ging ihm weniger um Parolen als um handfeste Arbeit. Kritisieren sollte nur, wer etwas Besseres anzubieten hat. Fritz Zwicky hat eigenhändig demonstriert, mit wie geringen Mitteln man forschen und helfen kann. Sein ganzes Leben hat er konstruktive Vorschläge technischer und organisatorischer Art gemacht - leider meist ohne Echo.

 

Wenn "grün" zu sein in blosser Kultur- und Gesellschaftskritik oder unverbindlichen Absichtserklärungen besteht, dann zählt Fritz Zwicky nicht dazu. Nur wenn es eine Lebenshaltung bedeutet, die für alles Sorge trägt, konkrete und integrierte Massnahmen ausarbeitet und durch unermüdlichen Einsatz auch realisiert, dann darf man ihn als "Grünen" bezeichnen. Er war bei weitem nicht der erste. Hoffentlich ist er nicht einer der letzten.

 

 

 

 

Fritz Zwicky und seine Morphologie

 

Der Glarner Fritz Zwicky (1898-1974) lehrte nach seiner Studenten- und Assistentenzeit an der ETH Zürich fast ein halbes Jahrhundert am California Institute of Technology und arbeitete an den berühmten Sternwarten von Mt. Wilson und Palomar. Als Entdecker von Supernovae, kompakten Galaxien und vielen andern Gebilden am Himmel erlangte er Weltruhm. Am 16. Oktober 1957 schoss er das erste Objekt von Menschenhand in den Weltraum.

 

Die Morphologie geht auf die Alten Griechen, Paracelsus und Goethe zurück. Seit 1817 breitete sie sich als Betrachtungsweise in fast allen Wissenschaften aus. Ihren Höhepunkt erreichte sie in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts.

 

Fritz Zwicky hat sie in den 30er und 40er Jahren weiterentwickelt. Sie ist anspruchsvoller als die gleichzeitig entstandenen Kreativitätstechniken "Brainstorming" (Alex Osborn, ab 1938) und "Synectics" (William J. J. Gordon, ab 1944), aber praktikabler.

Sie liegt eher auf der Linie des damals skizzierten Operations Research und Systemdenkens sowie der Spieltheorie (1944) und Wertanalyse (1947), ist jedoch weniger streng, weil die "gerichtete Intuition" als Grundlage dient.

 

Morphologie nach Fritz Zwicky ist viererlei:

(1) Ihre Weltanschauung ist die Ehrfurcht vor dem Ganzen, der Schöpfung und dem "Genie" des Menschen und der Völker.

(2) Als Lebenshaltung kämpft sie gegen die "Verirrungen des menschlichen Geistes", insbesondere Pfuscherei, Vorurteile, Verlogenheit und Vetterliwirtschaft.

(3) Die ganzheitliche Betrachtung von Formen, Gestaltwandel und Zusammenhängen findet ihre Hilfsmittel in

(4) einem Dutzend Methoden, z. B. morphologischen Tabellen und Kästen, Wirkungsketten oder der Methode der Extreme. Deren Einsatz erfolgt nach dem angestrebten Ziel.

 

 



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