Hesiod zum steinigen Weg der Arbeit
"Ja, das Geringe und Schlechte, das kann man in Haufen erhalten Ohne Bemühn, schön eben der Weg, ganz nahe, da wohnt es. Vor die Vollendung jedoch haben Schweiss die untersterblichen Götter Hingesetzt; steil steigend und lang ist der Pfad, der dorthin führt, Und voller Steine zuerst; doch hast du die Höhe gewonnen, Wird es leicht, auf ihm weiter zu gehn, so schwierig er anfing.
Der steht allen voran, der selbst ein Jegliches einsieht, Wenn er bedenkt, was danach und hin bis zum Ende das Beste. Tüchtig ist zweitens auch der, der dem Gutes Ratenden folgsam. Doch wer es selber nicht sieht und auch nicht, hört ers vom andern, Sich zu Herzen es nimmt, der Mann ist nicht zu gebrauchen."
Hesiod: Erga, Artemis-Verlag, 2. Aufl. 1984, 287-297:
Hesiod, der um 700 v. Chr. lebte, ist der erste grosse Ratgeber. So wie die Götter die Welt eingerichtet haben, muss sich der Mensch um das Gute bemühen, es wird ihm nicht geschenkt; das Gegenteil, das Schlechte, steht aber bereit und ist leicht zu erreichen.
Es gibt also zwei verschiedene Wege (hodos) des Menschen:
Wer nicht einsieht, dass man nur im Schweisse seines Angesichts aufwärts gelangt, der soll wenigstens gute Ratschläge beherzigen. Das Hörenwollen und Bereitsein, gutem Rat zu folgen, ist eine geistige Leistung; sie ist die Voraussetzung für eine sinnvolle Lebensführung.
Gute Ratschläge
Arbeit ist nötig, dem Hunger und Tadel zu entgehen, führt aber auch zu Wohlstand und Ansehen. Ausführliche konkrete Anweisungen Hesiods betreffen die Landwirtschaft - soziales Verhalten des Bauern, alle Verrichtungen zur richtigen Zeit - und Schifffahrt - ebenfalls zur richtigen Zeit. Gilt es beim Landbau, Trägheit und Zögern zu bekämpfen, so bei Seefahrt und Handel leichtfertigen Wagemut.
Anweisungen für die Wahl einer passenden Frau, den Umgang mit Freunden und geselligen Verkehr beschliessen die echten Empfehlungen Hesiods. Spätere Zusätze betreffen Unreinheitsverbote sowie Aufzählungen günstiger und ungünstiger Tage für bestimmte Verrichtungen, beides beherrscht von sonst fehlendem Aberglauben.
Aristoteles, Lao-tse und Sokrates
Rund 400 Jahre später hat Aristoteles in seiner "Nikomachischen Ethik" die Stelle von Hesiod übernommen, wo er von dem spricht, der sich für den rechten Weg beraten lassen soll. Seine ganze Ethik - als wissenschaftliche politische Untersuchung - dient daher der Belehrung des Menschen, der sittlich werden kann.
Zur selben Zeit verkündete ein unbekannter Meister in China, später Lao-tse genannt: "Die Seltenen sind es, die mich verstehen; und die mir folgen, sind angesehen." Und worüber lehrte er? Über das Tao, den Weg. "Wahrlich: Wer dem Wege folgt in seinen Geschäften, wird eins mit dem Weg." Dieser "Weg" kommt schon um 500 v. Chr. bei Kung-fu-tse vor, und zwar als Weg des rechten Verhaltens. Daher heisst es im Tao-te-king: "Kannst überbieten andere nur durch dein rechtes Wandeln."
Interessant ist freilich auch dass der sokratische Gedanke "Ich weiss, dass ich nichts weiss" ebenfalls im Tao-te-king auftaucht: "Um sein Nichtwissen zu wissen ist das Höchste." Daran schliesst sich jedoch an: "Um sein Wissen nicht wissen ist krankhaft." Das ist Mahnung und Ansporn zugleich. Es gilt, um die mannigfachen Erkenntnisschwächen des Menschen zu wissen und daher zu versuchen, sein Wissen zu vergrössern, eben, das Wissen um den Weg.
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