The Age of Aquarius
Feminismus und ökologisches Bewusstsein
Harmonie und Recht und Klarheit! Sympathie und Licht und Wahrheit! Niemand wird die Freiheit knebeln, niemand mehr den Geist umnebeln. Mystik wird uns Einsicht schenken, und der Mensch lernt wieder denken, dank dem Wassermann, dem Wassermann!
Song aus dem Musical "Hair" (1967)
"Im Zeichen des Wassermanns"
Die Hoffnung auf Befreiung im Zeichen des Wassermanns ist nicht mehr ganz taufrisch. Sie tauchte bei verschiedenen "okkulten Gruppen" (so Horst E. Miers im "Lexikon des Geheimwissens" 1970) seit der Jahrhundertwende [1900] immer wieder auf.
Die in den USA vom Geistheiler Phineas Parkhurst Quimby (um 1840) ausgehende Neugeist-Bewegung, die seit 1880 den Namen „New Thought“ trug, sprach bereits vom kommenden Wassermann-Zeitalter.
1908 publizierte ein Autor unter dem Pseudonym Levi Dowling: "The Aquarian Gospel of Jesus the Christ. The philosophic and practical basis of the aquarian age of the world and of the church universal, transkribed from ... the Akashic records“. Seither erschien die Zeitschrift "Aquarian New Age", herausgegeben vom "Aquarian Commonwealth" in Los Angeles.
Die Zeitschriftentitel „Die Neue Zeit“ resp. "New Age" gab es seit 1830 resp. 1840 bereits mehrfach. Die Akasha-Chronik wurde von Rudolf Steiner erfunden und 1904-08 beschrieben (für genauere Angaben siehe: Wie kam es zur Akasha-Chronik?).
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Wassermann-Hoffnung erneut populär. Die Theosophin Alice Ann Bailey prophezeite einmal mehr "Die Wiederkunft Christi" (1948), wobei sie freilich den Anti-Christus meinte. Die Schweizer verfügen sogar über Hinweise aus erster Hand. Der Theologe und Kulturhistoriker Alfons Rosenberg, der damals in Horw (LU), später in Zürich lebte, berichtete 1949 in seinem Buch "Zeichen am Himmel" und 1958 in "Durchbruch zur Zukunft" über das anbrechende Wassermannzeitalter.
Der in Küsnacht lebende Psychiater C. G. Jung beschäftigte sich u. a. eingehend mit Religionsgeschichte und Alchemie, Archetypen und Symbolen. Seine Thesen erlebten in New Age-Kreisen eine erstaunliche Renaissance - bis heute. Er meinte: "Der Wassermann folgt den zwei gegensätzlichen Fischen (einer coniunctio oppositorum) und scheint das Selbst darzustellen" (in seiner Autobiographie: "Erinnerungen, Träume, Gedanken", 1962, 342).
Frauen entdecken Matriarchat und Magie
In den 60er Jahren hatte sich die neue Frauenbewegung mit Gleichberechtigung, Sexualität, Vergewaltigung, Abtreibung und Körperlichkeit herumgeplagt.
Mitte der 70er Jahre wandelte sie sich (in Deutschland meist etwas später als anderswo): 1. Der "Lohn für Hausarbeit" wurde diskutiert (1973-75). 2. Die Forderung nach feministischer Wissenschaft und Theologie kam auf (1974). 3. Der Mythos der Grossen Mutter und des Matriarchats wurden wiederentdeckt (von Elisabeth Gould Davis: „The First Sex“, 1971; dt. 1977 u. 1987; zusammenfassend Heide Göttner-Abendroth: „Die Göttin und ihr Heros“, 1980). 4. Selbsterfahrung wurde via Psychotechniken, Esoterik, Okkultismus und Hexenkult angestrebt (schon 1972 erschien in Basel die "Hexenpresse"; wichtig wurde von Rosemarie L. Rodewald: „Magie, Heilen und Menstruation“, 1978).
Erst um 1980 schloss sich ein Teil der Frauenbewegung den Friedens- und Oekologiebewegungen an.
1980: "Kultureller Feminismus" gegen Zerstörung
Auf diesem Hintergrund ist verständlich, dass auch die Feministinnen mit ganzheitlichen Forderungen aufwarteten. Es begann in den USA. 1980 forderten zwei Autorinnen in einem "Handbook for Women an the Nuclear Mentality":
Im November 1980 fand die "Women's Pentagon Action" in Washington, D. C., statt.
Die Frauen verteilten ein "Unity Statement", in dem sie auf die Zusammenhänge zwischen diversen ökonomischen Aspekten von Militarismus und Wettrüsten hinwiesen und abschliessend den "Grundsatz der ganzheitlichen Spiritualität" bekräftigten, dass alles Lebendige und die Erde selbst heilig sei. Da hiess es:
Ökologische Rundumschlage teilten schliesslich 1978 Mary Daly ("Gyn/ Ecology"; dt. 1981), 1979 Susan Griffin ("Woman and Nature"; dt. 1986) und 1980 Carolyn Merchant ("The Death of Nature“; dt. 1987) aus.
Mystik führt nicht zum ökologischen Bewusstsein
Die patriarchale Ökologie hat es da schwerer. Frederic Vesters zuerst "kybernetisches" (1974), dann "vernetztes Denken in Kreisläufen" (1976) bleibt noch recht konventionell. Mit seiner organischen oder "ökologischen" Weltanschauung ( in "The Tao of Physics", 1975; dt. 1977), die er 1982 in ein von ganzheitlichem Denken getragenes "Systembild des Lebens" ausbaute, begab sich Fritjof Capra auf mehrfaches Glatteis. Die ebenso begeisterte wie unbekümmerte Verbindung von östlicher Weisheit mit Ökologie funktioniert nämlich nicht. Capra gab schon 1983 zu:
Cillie Rentmeister stellt dem optimistischen evolutionären Systembild ihre Beobachtungen gegenüber:
Es war also nicht Fritjof Capra, der das ganzheitliche Denken wieder in die Diskussion brachte. Sein Buch "Turning Point" erschien erst 1982 (dt.: "Wendezeit", 1983). Immerhin windet er darin den Feministinnen ein Kränzchen:
Zur gleichen Zeit behauptete Ilse Brehmer:
Trotz diesem berechtigten Stossseufzer hat sich das Reden von "ganzheitlich" rasch ausgebreitet. So finden sich im Oeko-Log-Buch 3, "Frauen-Zukünfte" (1984) u. a. folgende Aufsätze: - Frauen und ganzheitliches Denken (Charlene Spretnak) - Drei Briefe zur Wiedergewinnung einer ganzheitlichen Qualität (Manon Maren-Griesebach) - Ganzheitliches Haushalten und patriarchales Wirtschaften (Irene Schöne) - Matriarchale Ästhetik - ein ganzheitlicher Prozess (Heide Göttner-Abendroth).
Frauen mit ökologischen Ideen
Was die "Ökologie" betrifft, so waren es ebenfalls Frauen, welche ganzheitliche und anti-patriarchalische Ansätze sehr früh in die Diskussion brachten. Die Vorgeschichte reicht freilich weit ins letzte Jahrhundert zurück (Ökologie: Haeckel, Möbius; Humanökologie: G. P. Marsh, F. Ratzel).
Immerhin sprach Rachel Carson in ihrem Buch über DDT und andere Arten der Umweltvergiftung ("Der stumme Frühling", engl. 1962; dt. 1965) schon vom "Netz des Lebens („the intricate web of life“). Sie stellte Bezüge her zwischen den verschiedenen Lebensebenen und deutete sowohl auf deren gegenseitige Abhängigkeit hin als auch auf die schrecklichen Folgen, falls dieser Zyklus einmal aufgebrochen werden sollte.
Die angesehene Wissenschaftshistorikerin Lynn White plädierte an der Jahresversammlung der American Association for the Advandecement of Science 1966 für eine neue Haltung gegenüber der Natur des Menschen und seinem Schicksal. Sie machte das Christentum für die Ausbeutung der Natur verwantwortlich. (Der Aufsatz erschien 1967 in „Science“, 15,5: „The Historical Roots of our Ecological Crisis".) René Dubois („Der entfesselte Fortschritt“, 1970, 17) meinte, sie sei ein Mann. Carl Amery stützte sich darauf in seinem Buch "Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums", 1972.
Auch an der interessanten Gaia-Hypothese ist eine Frau beteiligt. Die amerikanische Mikrobiologin Lynn Margulies stellte sie 1974 mit dem englischen Klimatologen James E. Lovelock auf (dt.: "Unsere Erde wird überleben", 1982).
Cillie Rentmeister meint:
Blinde Flecken
Versuche zum ganzheitlichen Denken haben die Menschheit seit jeher begleitet. Seit 100'000 Jahren. Archäologische Zeugnisse der Neandertaler und Höhlenbewohner künden davon. Seit rund 10'000 Jahren haben wir viele Mythen der sesshaft gewordenen Nomaden, die zu Bauern und Hirten, Handwerkern und Händlern wurden. Vor 5000 Jahren errichteten sie "Hochkulturen", die uns heute noch zum Staunen bringen. Um 700 v. Chr. erfolgte dann ein Sprung "vom Mythos zum Logos".
Die heutige Frauenbewegung einerseits, New Age andererseits haben solches wieder ans Tagelicht gefördert. Man kann ihren Rückgriff auf antike Mythen und Mysterien resp. auf uralte östliche Weisheit als Flucht in die Vergangenheit belächeln oder verurteilen; man kann sich aber auch darüber freuen, dass nun fast die ganze Menschheitsgeschichte wieder einmal zu Ehren kommt.
Freilich haben auch Feministinnen und New Ager ihre blinden Flecken. Sie sind sich nicht bewusst, dass die Beschäftigung mit alten Mythen und die Faszination durch chinesische und später indische Weisheit bereits im Barock einsetzte, also im 17. Jahrhundert. Gar verleugnet werden die direkten eigenen Vorläufer: Johann Jakob Bachofens "Mutterrecht" (1861) Friedrich Engels’ „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates" (1884), J. G. Frazers "Goldener Zweig" (1890) und Ludwig Klages' "Geist als Widersacher der Seele" (1929/32) von den Feministinnen, die Romantik (um 1800) und die Theosophische Gesellschaft (gegründet 1875) von den New Agern.
Am erstaunlichsten aber ist, dass sich noch niemand fragte, weshalb das ganzheitliche Denken sich nie durchsetzte.
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