Ein systematisches Inventar von über 3000 Problemlösungsmethoden
Von Dr. Werner Hürlimann
Schriftenreihe der Fritz-Zwicky-Stiftung, Nr. 2 Bern: Peter Lang 1981
Einleitende Kapitel und Inhaltsverzeichnis
1 Zwischen Reagieren und Denken
Unter "Problem" verstehen wir das als Frage zur Lösung Vorgelegte, die ungelöste Aufgabe, sowie auch das Ungewisse, Zweifelhafte, Fragwürdige oder bloss Mögliche.
Hier gilt es, eine Lösung zu finden, Ungewissheit aufzuhellen, Zweifel zu beseitigen, Entscheidungen zu treffen oder Gewissheit zu verschaffen.
Das Lösen von Problemen bietet ein weites Spektrum von denkbaren Vorgängen, wie denn auch die Probleme selbst praktisch alle Bereiche menschlicher Betätigung in Leben, Arbeit und Forschung umfassen. Dementsprechend sieht sich der suchende Mensch vielen Hunderten verschiedener Problemlösungsmethoden gegenüber, welche irgendwo zwischen Goethe und Prokrustes angesiedelt sind und deren Wirkungsweise vom Reagieren einer Amöbe bis zur Vollendung eines Weltraumprojekts reichen kann.
Die Technik des Problemelösens ist so alt wie der denkende Mensch selber. Unsere vorgeschichtlichen Urahnen - so gut wie die noch nicht ausgerotteten Naturvölker der Gegenwart - lassen das Praktizieren vieler Vorgehenstechniken erkennen, die man sonst nur dem wissenschaftlich geschulten Denken zuschreiben möchte.
Die alten Ägypter kannten bereits ein Vorgehensschema (Information - Untersuchung - Schlussfolgerung) für medizinische Diagnosen, während wir den Vorstoss ins Allgemeine den griechischen Philosophen zu verdanken haben: Deduktives Vorgehen (Hypothese), logische Beweisführung (Syllogismus), Technik des Ideenfindens (Heuristik), sowie den Dreischritt von These, Antithese und Synthese (Dialogtechnik) - welche heute noch zum Rüstzeug des Problemelösers gehören. Daneben lehrten die Sophisten, wie man durch Redekunst, Argumentieren, Skepsis und auf das Handeln gerichtete Geistesart zum praktischen Erfolg gelangt.
Das turbulente Mittelalter musste vor allem die Techniken des Bewahrens (Kodifikation, Entwickeln von Dogmen, Exzerpieren, Kopieren) entwickeln, leistete aber selbst beachtliche Beiträge zur Entwicklung der Denkökonomie und der formalen Logik.
Im 18. und 19. Jahrhundert folgten grossartige Leistungen im Bereiche der wissenschaftlichen Systematik, des Klassifizierens, des Experiments und der praktischen Technik, gefolgt von zunehmender Spezialisierung der Wissensgebiete und der mit ihnen verknüpften Methoden.
Im 20. Jahrhundert kamen schliesslich Impulse aus dem technisch-wirtschaftlichen Bereich (Management, Rationalisierung, Erfolgsforschung) und im 2. Weltkrieg ging aus jener bekannten Mischung von Mathematik und Strategie die Verfahrensforschung (Operations Research) hervor - was alles zum Boom der Problemlösungsmethoden seit den Fünfzigerjahren beigetragen hat.
Dieser Boom brachte aber viel Wildwuchs und Systemlosigkeit mit sich:
Die Praxis des Problemelösens muss sich auf möglichst viele brauchbare Methoden stützen können, selbst wenn diese aus entlegenen Fachgebieten stammen und nicht unbedingt der herkömmlichen Denkweise entsprechen.
Diese Forderung aber konfrontiert uns mit der kaum mehr übersehbaren Methodenvielfalt. Wie sollen wir uns darin zurechtfinden?
Es gibt viele Möglichkeiten des Ordnens und Klassifizierens. Im vorliegenden Methodenkatalog wird versucht, der natürlichen Spannweite zwischen Reagieren und schöpferischem Denken zu folgen.
Jede Art von Problemlösung liegt irgendwo zwischen diesen beiden Polen - dem Reagieren eines einfachen Organismus einerseits und der Komplexen schöpferischen Tätigkeit einer grossen Organisation anderseits. Wir können eine ganze Skala von Methodengruppen aufspannen, in welcher die Komplexität und der Anteil des schöpferischen Denkens zunimmt, sowie anderseits das blosse Reagieren und Anwenden von Kenntnissen (know-how) an Bedeutung verliert, ohne aber völlig zu verschwinden.
Übrigens ist diese Skala auch in unserem täglichen Leben wirksam. Sehr vieles wird durch blosses Reagieren oder durch routinemässiges Anwenden von Kenntnissen erledigt, sodass es überhaupt nicht als Problem bewusst wird. Bisweilen wird aber unser Denkapparat ernsthaft beansprucht, sodass ein erster Einfall oder spontaner Entschluss kaum mehr auf die beste Lösung führen könnte.
Spätestens seit Descartes bedient man sich in solchen Fällen eines schrittweisen Vorgehens, welches entweder unserem natürlichen Denkprozess angenähert ist, oder aber in schwierigen Fällen in viele Schritte des Formulierens, Suchens und Prüfens zerfällt.
2. Die Stufen des Problemlösungsprozesses
Die Gliederung der Problemlösung in mehrere Arbeitsschritte erlaubt uns eine erste Annäherung an das praktisch zu lösende Problem: Wir lernen das Problem und seine Zielsetzung kennen und gewinnen eine Übersicht über den Lösungsweg und die einzusetzenden Hilfsmittel sowie Informationen.
Wir kennen heute schon gegen die fünfzig verschiedenen Schemata von Lösungsschritten - vom erwähnten ägyptischen Dreischritt bis zum detaillierten Handbuch. Viele davon sind in wesentlichen Zügen ähnlich.
Das auf der folgenden Seite gezeigte Schema stellt eine Synthese aus einer Vielzahl von praktizierten Möglichkeiten dar und mag für diese als Beispiel stellvertretend sein. Es zeigt uns deutlich, dass das Problemelösen keine lineare Folge von Schritten ist, sondern dass nötigenfalls eine Rückkopplung (Feedback) auf bereits absolvierte Schritte nötig sein kann. Im übrigen darf das Schema nicht als Zwangsjacke angesehen werden, sondern soll als Denkanstoss und anpassungsfähiges Werkzeug dienen. Wir können es je nach Fall erweitern oder vereinfachen.
Die Gliederung nach Arbeitsschritten gibt der Problemlösung eine zweite Dimension,; wenn wir den Katalog der Methoden als erste Dimension auffassen.
Es wird immer wieder der grosse Fehler begangen, das Schwergewicht einseitig auf die Methoden oder die Stufen des Problemelösens zu legen. In Wirklichkeit spannen Methoden und Stufen zusammen ein ganzes Problemfeld auf. Wir werden in Kapitel 5 zeigen, wie ein solches Feld mit Hilfe einer übergeordneten Morphologie bewältigt werden kann. Hier mag die Feststellung genügen, dass für jede Stufe der Problemlösung mehrere Methoden in Betracht gezogen werden können und dass manche Methoden "höherer Ordnung" mehrere Lösungsstufen umfassen.
Im Prinzip liesse sich dieses Dimensionalisieren noch weiter ausbauen. Als weitere Dimensionen wären beispielsweise denkbar:
Weil dies vorderhand kaum zu besseren Übersicht beiträgt, wollen wir darauf nicht näher eintreten.
3 Die Problemlösungsmethoden
Ein Methodenkatalog soll dem Leser vorab die Vielfalt der zum Problemelösen verfügbaren Möglichkeiten präsentieren. Wer sich an Kursen oder an Hand von Fachbüchern eine erste Übersicht über das Problemelösen verschafft hat, gerät nämlich in Gefahr, die Vielfalt der Methoden zu unterschätzen, weil ihm immer wieder die gleichen Methoden begegnen - Brainstorming, Synektik, Morphologie, oder wie die Stars alle heissen mögen.
Eine weit wichtigere Aufgabe des Methodenkatalogs aber liegt darin, dieser Vielfalt einen ordnenden Rahmen zu geben (Klassifikation), um das Suchen und Weiterforschen zu erleichtern.
31 Wer und Wo ?
Bevor wir uns dem Katalog zuwenden, sei noch auf einen praktischen Aspekt hingewiesen: WER löst Probleme und WO gibt es Probleme?
• Selber lösen • Einen Experten beiziehen • Durch Gruppe lösen • Computerprogramm eingeben
Zwischen diesen vier Möglichkeiten sind viele Varianten denkbar
Das "Wer" ist eine Frage der Organisation:
Wir können diese Aspekte im Lösungsprozess berücksichtigen:
32 Allgemeine Übersicht
Praktisch sind heute über 3000 Problemlösungsmethoden bekannt. Im Rahmen des vorliegenden Buches ist eine Beschreibung oder auch nur Definition der einzelnen Methoden nicht möglich. Der Methodenkatalog erfüllt seine Aufgaben trotzdem, wenn er wenigstens
Die Hauptgruppen des Katalogs seien hier kurz vorgestellt:
Rezeptive Methoden: Sie bieten "direkte" Lösungen durch Reagieren oder bieten in Form von Sachkenntnis und Erfahrung das Handwerkszeug zum Problemelösen. Assoziative Methoden: Sie erleichtern das Hervorbringen neuer Ideen durch ungebundenes Denken, Phantasie, Intuition, Gespräch und dergleichen. In dieser Gruppe finden sich viele bekannte und erfolgreiche Methoden. Sammeln und Ordnen: Hier liegt die Übergangszone vom freien Denken zur Systematik, wobei man sich nicht selten an rezeptive und assoziative Methoden anlehnt. Von zentraler Bedeutung sind hier Klassifikation und Heuristik. Kombinationsmethoden: Das Kombinieren gehört mit zu den fruchtbarsten Methoden überhaupt. Assoziation auf höchster Ebene, Vorstellungsvermögen und schöpferische Phantasie gehen hier eine Verbindung mit dem Sammeln und Ordnen ein. Deduktive Methoden: Hier beginnt der Bereich des strengen Definierens, Analysierens, Abstrahierens und logischen Denkens. Der Zwang zum geordneten Denken vermag seinerseits neue Einsichten und Anregungen zu erwecken. Bilden von Modellen: Diese tragen dazu bei, komplizierte Sachverhalte durchschaubar, messbar oder sogar optimierbar zu machen. Wir haben sie hier mit den deduktiven Methoden zu einer Gruppe zusammengefasst. Empirische Methoden: Hier liegt der weite Bereich von Erfahrung, Beobachtung und Experiment zwecks Gewinnung neuer Erkenntnisse. Gesamtlösungen und kombinierte Methoden: Hier haben wir den Bereich von Einzellösungen verlassen und gehen über zur gesamtheitlichen Betrachtungsweise, zur Kombination mehrerer Methoden oder sogar zur Einbeziehung mehrerer Lösungsstufen in derartige Kombinationen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Zwischen Reagieren und Denken
2 Die Stufen des Problemlösungsprozesses
3 Die Problemlösungsmethoden 31 Wer und Wo ? 32 Allgemeine Übersicht 33 Kein Eintopfgericht
4 Detaillierter Methodenkatalog 41 Zweck des Methodenkatalogs 42 Aufbau des Methodenkatalogs 43 Zeichenerklärung zum Methodenkatalog und zum Literaturverzeichnis 44 Erläuterungen zum Stichwortverzeichnis und Literaturverzeichnis 45 Hinweise zur Verwendung des Methodenkatalogs
Systematischer Methodenkatalog
1 Rezeptive Methoden 11 Reaktion 12 Kontrolliertes Handeln 13 Verhaltensmuster 14 Persönliches Wissen und Können 15 Rahmenbedingungen 16 Kollektives Wissen und Können 17 Fördern und Helfen 18 Wissen ergänzen 19 Kreative Eigenschaften
2 Assoziative Methoden 21 Assoziation 22 Besondere Ideenförderung 23 Beobachten 24 Besondere Denkrichtungen 25 Kreativität fördern 26 Brainstorming 27 Brainstormähnliche Methoden 28 Brainwriting 29 Verschiedene assoziative Methoden
3 Sammeln und Ordnen 31 Heuristische Methoden 32 Semantische Methoden 33 Ordnen 34 Sammeln 35 Gruppen (Personen) 36 " 37 " 38 Verschiedene Methoden des Sammelns und Ordnens 39 "
4 Kombinationsmethoden 41 Synektik 42 Bisoziation 43 Negation und Konstruktion 44 Verfremden 45 Ursache suchen 46 - 49 Verschiedene Kombinationsmethoden
5 Deduktive Methoden 51 Deduktion 52 Analytische Methoden 53 Abstraktion 54 Andere deduktive Methoden 55 Quantitative Methoden 56 Verfahrensforschung, Operations Research 57 Nichtnumerische Methoden 58 - 59 Grenzen
6 Empirische Methoden 61 Deduktive Methoden, Empirische Methoden i. e. S. 62 " 63 Test 64 Besondere deduktive Methoden 65 - 69 -
7 Gesamtlösungen 71 Morphologische Methoden 72 Feld 73 - 74 Struktur 75 - 76 Verschiedene Gesamtlösungen 77 - 79 -
8 Integrierte Methoden, Kombinierte Methoden 81 Integration 82 Iterative Methoden 83 Kombinierte Methoden 84 - 89 " "
9 Verschiedene Aspekte 92 Allgemeine Ausführungen 93 Schematische Darstellungen 94 Problemarten 95 Methodenkataloge 96 - 99 -
5 Die Metamorphologie 51 Systematisierung ist dringlich 52 Was ist Metamorphologie? 53 Praktische Gesichtspunkte
6 Abriss eines Forschungsprogramms
Literaturverzeichnis
Stichwortregister
Dr. phil. Roland Müller,
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