Home Netze

 

 

Unterlagen für einen Volkshochschulkurs „Entscheiden und Verantworten im Alltag“, Sommer 1987

11.5.87

 

Entscheiden und Verantworten im Alltag I

 

 

1. Alles, was der Mensch tut, ist ein heisses Eisen:

  • wie er Sachen und Menschen wahrnimmt und beschreibt,
  • sein Begehren und seine Gefühle,
  • was er sich vorstellt und meint,
  • wie er handelt und sich ausdrückt,
  • wie er entscheidet und dies verantwortet.

 

2. Jedes heisse Eisen kann auf vier Weisen angegangen werden:

  • a) durch Definitionen, die es abschirmen, aber auch verdunkeln,
  • b) durch vorsichtige Annäherung, wobei die Gefahr von Umwegen, Steckenbleiben und Verschwinden des Gegenstandes droht,
  • c) durch systematisches Ansetzen am Gegenstand mit einer Matrix, z. B. einer morphologischen Tabelle (siehe Beilage). Aber: Ein Schema ist nur gut, wenn es flexibel ist,
  • d) durch direktes Anpacken oder Drauflosschiessen, wobei man sich die Finger verbrennen oder den Gegenstand verschieben resp. zerstören kann.

 

Bei heissen Eisen neigen wir dazu, vorschnell etwas vorzuschreiben, anstatt den Gegenstand zuerst einmal zu beschreiben versuchen (z. B. "Wer Macht hat, sollte Verantwortung tragen".)

 

3. Das Vorgehen nach 2b) und 2c) zeigt, dass es keine isolierten Sachverhalte, Gegenstände, Begriffe gibt: Alle stecken in Netzen.

 

4. Auch Menschen sind in Netze verstrickt, beispielsweise in Entscheidungsnetze, denn wir sind alle abhängig von Entscheidungen, die andere für uns getroffen haben. Das fängt auf der biologisch-genetischen Ebene an und führt über Elternhaus, Schule und Umgebung bis zur aktuellen Situation.

 

5. Jeder webt auch ein Netz für sich selber, etwa durch seine Erfahrungen, Meinungen, Gewohnheiten (Automatismen).

 

6. Diese Netze entwickeln sich laufend weiter, denn jede Entscheidung hat Folgen. Also: Entscheidungsnetze haben Folgennetze zur Folge.

 

7. Die Folgen betreffen

  • denjenigen, der die Entscheidung getroffen hat,
  • die direkt Beteiligten,
  • aber auch eine ganze Reihe indirekt Betroffener (z. B. Familie, Freunde), die "Umwelt" überhaupt.

 

8. Jede Entscheidung vernichtet etwas, nämlich Möglichkeiten, anderes zu tun.

 

9. Jede Entscheidung stellt an den Entscheidenden sowie an andere Menschen Forderungen, z. B.

  • weitere oder eigene Entscheidungen
  • Arbeit, Tätigkeit (etwa: Vorbereiten, Mitdenken)
  • Unterlassungen
  • seelische Stärke.

 

Das kann auch positiv gesehen werden:

  • Nur durch (An-)Forderungen entwickelt und entfaltet sich der Mensch.
  • Oder: Die gewählte Möglichkeit (Tätigkeit) kann gestaltet werden.

 

10. Entscheidungen können auf vier Arten getroffen werden:

  • spontan, auf Grund eines Bedürfnisses oder Drangs,
  • gewohnheitsmässig (automatische Entscheidungen sind einstmals überlegte Entscheidungen, die einem "in Fleisch und Blut übergegangen sind")
  • gemäss Brauch oder Sitte (das sind gesellschaftliche Erfahrungen und Gewohnheiten)
  • überlegt.

 

11. Bei Überlegten Entscheidungen müssen beurteilt werden:

  • die Kosten: Wie wichtig oder bedeutend schätze ich die Möglichkeiten ein, die ich vernichte?
  • der Aufwand: Was und wieviel muss ich, was müssen die andern tun, nachdem ich die Entscheidung gefällt habe?
  • die Ressourcen: Habe ich genug Mittel, Material, Kenntnisse, Fähigkeiten, Zeit, um etwas auszuführen?
  • der Nutzen: Was habe ich davon, was haben andere davon?

 

12. Diese Beurteilungen fallen je nach Interesse, Erfahrung, Charakter anders aus:

  • Was dem einen Aufwand ist, bedeutet den andern Nutzen.
  • Die Höhe, das Ausmass jedes Faktors kann unterschiedlich eingeschätzt werden.

 

13. Jede Beurteilung ist mit dem Risiko der Fehleinschätzung behaftet.

So können etwa der Nutzen zu gross, der Aufwand zu gering eingeschätzt worden sein.

 

14. Erst nach all diesen Schätzungen kann abgewogen werden, was - alles in allem - mehr bringt als nimmt.

Damit wir nicht immer derart komplizierte Beurteilungen und Abwägungen vornehmen müssen, entscheiden wir häufig nach Gewohnheit oder Brauch. Diese entlasten uns und machen uns frei für "wesentliche" Entscheidungen.

 

15. Gewohnheit und Brauch haben freilich auch einen Nachteil: Bei Störungen oder unerwarteten Situationen führen sie zu Irritation und Panik.

 

16. Spontane Entscheidungen müssen nicht unbedingt grössere "Risiken" bergen als überlegte, weil die Überlegung auf ganz falschen Beurteilungen beruhen kann.

Daher sind auch Entscheidungen mit dem Kopf - statt spontan oder mit dem Herzen - nicht immer "besser". Zudem können Kopf-Entscheidungen auch automatisch ablaufen, also sehr starr sein.

 


Return to Top

Home

E-Mail



Logo Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved

Webmaster by best4web.ch