Geschlechterstereotype
Einige Forschungsergebnisse
Inhalt Wieweit entsprechen die Erwartungen des Mannes an "die" Frau seinen Bedürfnissen? Was ist „weiblich“, was ist „männlich“, was ist „erwünscht“, was ist „nicht erwünscht“? Geschlechterstereotypen hemmen das „Potential“ von Frauen und Männern
Lassen Sie mich noch kurz einige Forschungsergebnisse vorstellen, die illustrieren, was ich vor der Pause beschrieben habe.
Wieweit entsprechen die Erwartungen des Mannes an "die" Frau seinen Bedürfnissen?
Helge Pross (1978) fragte Männer nach einer Definition von "Weiblichkeit". Einige Antworten lauteten:
"(...) Man kommt heim und muss sich wohlfühlen können. Das verstehe ich unter Weiblichkeit."; "Weiblich, dass die Frauen in der Lage sind, den Mann abzulenken, irgendwelche Probleme von ihm fernzuhalten (...) Weibliche Fähigkeit, sagen wir mal, dem Mann zu helfen, seinen Beruf zu erfüllen, ihn nicht von seinem Beruf abzulenken."; "Das Haus und der Haushalt, das ist eben ein wichtiger Teil ihrer Welt, da muss alles stimmen, das muss sauber sein und funktionieren, es muss einfach schön sein."; "Ich weiss, dass ich für Erziehung und soziale Arbeit, wie immer man es nennen will, nicht so gut geeignet bin, dass Frauen damit wesentlich besser klarkommen."; "Die Erziehung der Kinder, das ist doch etwas ganz Besonderes, und da sind die Frauen entschieden besser als die Männer."; "Ja, sie ist eben fraulich, zärtlicher. Ich verstehe darunter, dass sie diejenige ist, die das Heim gemütlicher macht, wohnlicher macht, die das Leben lebenswerter macht, indem sie schöne und angenehme Stunden ins Leben bringt."
"Kein Mann beantwortet die Frage; jeder definiert stattdessen, welchen Nutzen die Frau ihm bringt, und serviert das dann als sein Bild der ‚Weiblichkeit’" (Bornemann 1978).
(zit. nach Petra Wollschläger 1981, 4-5; nach Ernest Bornemann 1978; Ergänzungen bei Andreas Giger 1981, 17).
Männer definieren also Weiblichkeit nach ihren Bedürfnissen.
Das zeigt sich auch in einer zweiten Studie. Andreas Giger (1981) wertete eine Umfrage, ebenfalls bei deutschen Männern aus derselben Zeit, 1976, u. a. daraufhin aus, wie Männer die ideale Frau sehen. Die Hälfte bis drei Viertel erwarten folgende Eigenschaften:
(eigene Frau) treu 77 % kinderlieb 64 % zärtlich 63 % 48 % häuslich 60 % 75 % fröhlich 59 % fleissig 55 % 63 % hübsch 46 %
Völlig unerwünscht ist die Eigenschaft "anspruchsvoll".
Alle befragten Männer waren verheiratet, aber nur 42 % hielten es für notwendig, dass ein Mann verheiratet sein muss, um wirklich glücklich zu leben. Das kann damit zusammenhängen, dass auch nur gleichviel (45 %) viel Gemeinsamkeiten in der Ehe pflegen, mit dem Sexualleben in ihrer Ehe zufrieden sind (48 %) und sich selber als glücklich bezeichnen (42 %). "Sehr zufrieden" mit ihrer Ehe sind nur 31 %, mit ihrem gesamten Sexualleben gar nur 21 %.
Dahinter stecken deutliche Zusammenhänge:
Ein Mann fühlt sich glücklich wenn:
Und was geben verheiratete Männer als Gründe für eine Eheschliessung an:
Für 80 % ist die Sexualität für ihr eigenes Lebensglück notwendig.
Je nach Fragestellung meinen 46 resp. 71 % der Männer, ein befriedigendes Sexualleben könne auch ohne oder ausserhalb der Ehe gefunden werden. Wenn sie sich selber über ihre Frau beklagen, praktizieren 50 % der verheirateten Männer Seitensprünge, wenn sie zufrieden sind noch 21 % (resp. 52 % und 18 % bei Zufriedenheit mit Ehe; 56 % und 13 % bei Gemeinsamkeit mit Ehefrau).
Voreheliche Erfahrungen haben ca. 95 % der Männer, und fast alle (89 %) finden das notwendig oder zulässig. Erfahrungen mit Prostituierten geben 44 % zu, und etwa gleich viel finden Prostitution sei eine nützliche Einrichtung. (54 % wären auch durch den Verkehr mit einer Frau, die sie nicht lieben, im Prinzip zufrieden gestellt.) 65 % sind nicht negativ zur Vergewaltigung in der Ehe eingestellt. Ca. 20 % der Frauen sind schon in der Ehe vergewaltigt worden.
Was ist „weiblich“, was ist „männlich“, was ist „erwünscht“, was ist „nicht erwünscht“?
Einen andern Aspekt, der etwas positiver aussieht, enthüllt die Untersuchung von Petra Wollschläger (1981). Schon 1952 hatte Charles Osgood Studenten veranlasst, ganz verschiedene Begriffspaare mit "weiblich" und "männlich" in Zusammenhang zu bringen. Dabei ergaben sich folgende deutliche Zuordnungen (P. R. Hofstätter 1957, 259):
weiblich männlich weich hart verschwommen klar schwach stark passiv aktiv verspielt ernst gefühlvoll kühl redselig verschwiegen friedlich aggressiv verträumt nüchtern nachgiebig streng zart robust sanft wild leise laut unterwürfig herrisch.
Eine andere Art von Zuordnung ergab (a. a. O. 261):
weiblich männlich Zärtlichkeit Intelligenz Gemüt Persönlichkeit Liebe Kampf Heiterkeit Gefahr Schlaf Zerstörung Hass Triebhaftigkeit keine Erschöpfung
Diese Zuordnungen gelten wohl schon seit Jahrhunderten.
Petra Wollschläger hat nun ebenfalls, und zwar Studenten, nach "eher weiblichen" und "eher männlichen" Eigenschaften gefragt, eine andere Gruppe aber danach, wie erwünscht diese Eigenschaften generell seien. Konkret wurden gleichviel Männer wie Frauen gefragt: "In welchem Mass sehen Sie persönlich diese Eigenschaften gerne an ihren Mitmenschen?"
Die doppelte Liste sieht folgendermassen aus (121): eher weiblich eher männlich a) gern gesehen zärtlich (m) einfühlsam gefühlsbetont politisch engagiert romantisch logisch (m) fürsorglich zielstrebig (m)
b) unwichtig technisch interessiert nachgiebig kräftig häuslich leistungsbezogen
c) ungern gesehen ängstlich eitel (m) leicht zu überzeugen (m) karrierebewusst hysterisch autoritär brutal
Der Buchstaben m gibt dabei an, dass diese Einschätzungen nur von der Mehrheit der Männer so vorgenommen wurde. Die extremsten Eigenschaften sind unterstrichen.
Aus dieser Darstellung zeigt sich, dass es sowohl weibliche wie männliche Eigenschaften gibt, die "sozial erwünscht" sind, und Eigenschaften, die unerwünscht sind. Der Tendenz nach sind weibliche Eigenschaften eher "sozial erwünscht" (123, 256).
In der Folge wurden ähnliche Eigenschaften zu 8 Gruppen zusammengefasst. Daraus ergab sich:
weiblich männlich a) erwünscht Gefühl Tatkraft Rationalität
b) unwichtig Fürsorglichkeit Unsicherheit
c) unerwünscht Oberflächlichkeit Macht Gewalt
Als nun weitere männliche und weibliche Studenten befragt wurden, stellte sich heraus (242ff):
Wie kann man das zusammenfassen?
1) Die meisten angeblich weiblichen oder männlichen Charakterzüge werden gar nicht so deutlich nur einem Geschlecht zugeschrieben.
2) In vielen Fällen klaffen das reale Selbstbild und das ideale Selbstbild auseinander. Insbesondere möchten Frauen wie Männer tatkräftiger und rationaler, gleichzeitig aber auch gefühlvoller werden.
3) Eine Angleichung der Geschlechter bezüglich erwünschter Eigenschaften sollte stattfinden.
Geschlechterstereotypen hemmen das „Potential“ von Frauen und Männern
Frau Wollschläger hat ihre Ergebnisse durch eine weitere interessante Untersuchung ergänzt. Sie führte den Studenten drei fünfminütige Szenen auf Video vor, die folgende Situationen zeigten: 1. Zwei Personen wollen in einem Zimmer arbeiten, aber aus der oberen Wohnung dringt zunehmend laute Musik. 2. Zwei Personen liegen schlafend im Bett. Die eine wacht wegen eines verdächtigen Geräusches auf und weckt die andere Person. 3. Zwei Personen stehen in der Küche. Beide möchten einen Film ansehen, der gerade im Kino läuft. Als sie beschliessen, am Abend gemeinsam hinzugehen, fällt ihnen ein, dass sie ja an der Reihe sind, Babysitter-Dienst zu versehen.
Jede Szene wurde in drei Versionen vorgeführt: mit zwei Männern, zwei Frauen und einem Paar. Die Aufgabe der Zuschauer bestand darin, zu schildern, wie es weiterging und wie es weitergehen sollte.
Was waren die Ergebnisse?
Hier zeigt sich also deutlich der Einfluss von Stereotypen auch bei den sonst eher aufgeschlossenen Studenten: Die Frau wird als Babysitterin, der Mann als Beschützer gesehen. Da nun, wenn zwei Männer oder zwei Frauen in den Szenen auftraten, alle Zuschauer in allen Fällen eine gemeinsame Lösung forderten, folgert die Autorin, dass Stereotype eine Behinderung darstellen, wenn ein Mann und eine Frau zusammen eine Lösung suchen müssen. Die Theorie lautet: Männer hemmen das "männliche" Potential von Frauen, und Frauen hemmen das "weibliche Potential" von Männern (259).
Was heisst das:
"Stereotypisierung in der sozialen Wahrnehmung führt zur Erwartung von Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Wie in der ‚Einbrecher-Szene’ führen solche Erwartungen zu stereotypen Reaktionen, die im Sinne eines Teufelskreises funktionieren: Sie nimmt an, dass er sich als Mann fühlen will und aufstehen wird - deshalb bleibt sie liegen. Er denkt, dass sie sich auf ihn als Mann verlässt und nichts tun will (sieht sie liegenbleiben - fühlt sich bestätigt) und steht auf. Dadurch wiederum ist ihre Annahme bestätigt. Selbst wenn weder er sich als ‚Mann’ zeigen wollte, noch sie ein ‚schwaches Weib' war, funktioniert dieses (Rollen-)Spiel. Um aus diesem Kreis herauszukommen, ist es notwendig, ständig ‚über die Situation’ zu reden - das Bewusstsein darauf einzustellen" (263).
Literatur
Ernest Bornemann: Lexikon der Liebe.
2 Bde, München: List 1968; neue Ausgabe in 4 Bd. Frankfurt am Main: Ullstein
1978; Nachdruck in 1 Bd. Wien: Hannibal 1984; Andreas Giger: Mann und Ehefrau. Bern: Haupt 1981. Helge Pross: Die Männer. Eine repräsentative Untersuchung über die Selbstbilder von Männern und ihre Bilder von der Frau. Reinbek: Rowohlt 1978, erneut 1984. Petra Wollschläger: Geschlechterstereotype. Frankfurt, Bern: Peter Lang. 1981.
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