Home Gebiete und Entwicklung der Lärmforschung

                     ca. 1916-1970

 

Aus:

Forschungsbericht zum Nationalfondsprojekt Nr. 4.163-0.75:

Felduntersuchungen zur psychovegetativen Lärmbelastung

Projektleitung: Prof. Dr. Karl Bättig; PD Dr. Hans Zeier

I. Teil: Sozio-psychologische und epidemiologische Aspekte

Sachbearbeiter: Dr. Roland Müller

August 1977, 8-22

 

Literatur siehe: Literatur Fluglärmforschung

 

 

1. Zusammenfassung

 

Das weite Feld der Lärmforschung lässt sich in vier Themenbereiche aufgliedern, nämlich in die Untersuchung

  • von physikalischen Wirkungen (samt Schallschutzmassnahmen),
  • von physiologischen Reaktionen und Beeinflussungen der Leistungsfähigkeit,
  • des subjektiven Empfindens und individueller Massnahmen sowie
  • von öffentlichen und offiziellen Reaktionen.

 

Die Lärmforschung setzte in breiterem Ausmass nach dem Ersten Weltkrieg ein, wobei akustische und technische Fragen auf der einen, physiologische Untersuchungen auf der andern Seite im Vordergrund standen. Lärmschutzbewegungen hatten sich schon kurz noch der Jahrhundertwende gebildet.

 

In den dreissiger Jahren begann man sich dem Fluglärm zuzuwenden, und zwar sowohl unter technischen wie juristischen Aspekten. Bald trat die Untersuchung von auralen und extraauralen Wirkungen hinzu.

Einen Boom erlebten nicht nur die Erforschung des Fluglärms, sondern auch die öffentlichen Klagen in den fünfziger Jahren. 1952 erfolgte die erste ausgedehnte Befragung von Flughafenanwohnern über ihr subjektives Erleben und Befinden, auf welcher Basis dann in den sechziger Jahren die bekannt gewordenen Enquêten um Heathrow und Schipol sowie an französischen, skandinavischen und deutschen Flugplätzen durchgeführt wurden.

 

In der Schweiz wird das Lärmproblem seit 20 Jahren [1956] behandelt. Marksteine bilden der Bericht der Eidgenössischen Expertenkommission an den Bundesrat über Lärmbekämpfung (1963) und eine 1971/72 um die drei Flughäfen Zürich, Genf und Basel durchgeführte "sozio-psychologische Fluglärmbefragung".

 

2. Gebiete der Lärmforschung

 

Versucht man die Fülle von Untersuchungen im Bereich der Lärmforschung, insbesondere der Fluglärmforschung, nach Themen zu gruppieren, so ergeben sich vier grosse Bereiche mit je drei Untergruppen, wie das Tabelle 1 in ausgewählten Stichworten übersichtsweise andeutet.

 

Lärmforschung ist damit ein sehr anschauliches Beispiel sowohl interdisziplinärer Forschung wie interdisziplinär verbundener Massnahmen. Von der Akustik und der Chemie schallabsorbierender Materialien über Medizin, Arbeitsphysiologie und Psychologie bis zur Jurisprudenz, Ökonomie, Siedlungssoziologie, Politologie und Betriebswirtschaft können sämtliche Wissenschaften wesentliche Beiträge zur Bearbeitung dieses Umweltproblems leisten, das in diesem Jahrhundert zunehmend Bedeutung erlangt hat.

Die Versuche zu seiner Minderung erfordern nicht nur technische, sondern auch organisatorische und planerische, juristische und ökonomische Massnahmen, wobei die Politik auf allen Ebenen ein gewichtiges Wort mitzureden hat.

 

Wie alle Umweltprobleme ruft die Lärmbekämpfung und insbesondere die Bekämpfung des Fluglärms und seiner Auswirkungen mithin nach dem Einsatz sowohl von Wissenschaftern und Technikern wie auch von Planern, Organisatoren und Politikern, sollen namhafte und dauerhafte Verbesserungen erzielt werden.

 

Trotz anfänglicher Abstützung der sozio-psychologischen Fluglärmforschung auf öffentlich geäusserte Klagen und den zahlreichen Prozessen, welche in den USA seit den dreissiger Jahren die Behörden und Juristen beschäftigten, ist bislang der 4. Bereich [öffentliche und offizielle Reaktionen] nie einer systematischen Untersuchung und Zusammenfassung unterzogen worden. Insbesondere die 3. Stufe, das Tätigwerden von Behörden und Organisationen, deren Gründe, Schwierigkeiten und Erfolge, wurden von der Forschung kaum erfasst, obwohl diesen offiziellen Bemühungen wohl der grösste Stellenwert in der Behandlung des Lärmproblems und insbesondere für die Lärmbekämpfung zukommt.

Auch die nähere Analyse von negativen Volksentscheiden (z. B. Zürich, 1957; Basel, 1972) und der anschliessenden Umstimmung der Bevölkerung, könnte interessante Aufschlüsse ergeben.

 

 

3. Entwicklung der Lärmforschung und Lärmbekämpfung

 

3.1 Allgemeine Lärmforschung

 

Seit über einem halben Jahrhundert kann man von Lärmforschung sprechen, setzten doch bereits in den zwanziger Jahren - nach den initialen Studien von J. J. B. Morgan (1916) sowie E. E. Cassel und K. M. Dallenbach (1918) - Untersuchungen sowohl über akustische Fragen als auch über den Einfluss von Lärm auf physiologische und psychische Funktionen in grösserem Ausmass ein.

 

Zu den Pionieren zählen etwa, um nur einige Namen zu nennen, Harvey Fletcher, J. C. Steinberg und W. A. Munson, D. A. Laird, R. C. Davis und Hollowell Davis, später V. O. Knudsen, G. von Békésy, I. Pollack und Horace O. Parrack, George A. Miller, E. D. D. Dickson, M. B. Gardner und W. R. Garner, I. J. Hirsh, J. P. Egon, Leo L. Berankek und vor allem Stanley S. Stevens, unter dessen Leitung das Psychologische und Psychoakustische Laboratorium der Harvard Universität seit etwa 1940 eine intensive Forschungstätigkeit entfaltete. Mitarbeiter waren unter anderem Karl D. Kryter und J. C. R. Licklider.

 

Nebst Fragen der Maskierung (R. L. Wegel, C. E. Lane, 1924), der Lautstärke (loudness) und Artikulation (H. Fletcher, J. C. Steinberg, 1924 und 1929; H. Fletcher und W. A. Munson, 1933; B. A. Kingsbury, 1927) sowie der Lästigkeit (annoyance) von Tönen (D. A. Laird, K. Coye, 1929) wurden bereits Mitte der zwanziger Jahre auch Lärmwirkungen auf das vegetative Nervensystem untersucht. An Tieren hatte W. B. Cannon (vgl. 1929) eine Hemmung der Magenperistaltik nach Lärmreizen festgestellt, E. B. Skaggs (1926) untersuchte Schreckreaktionen, und schliesslich gaben A. W. Kornhauser (1927) und D. A. Laird (1927) mit ihren Forschungsberichten über den Einfluss von Lärm auf die Leistungsfähigkeit das Signal für eine ganze Reihe Untersuchungen in dieser Richtung, wobei auch Fragen der Ermüdung und der Einfluss von Störungen (distraction) auf intellektuelle Leistungen (seit J. J .B. Morgan, 1916; E. E. Cassel und K. M. Dallenbach, 1918; M. A. Tinker, 1925; H. B. Hovey, 1928) Berücksichtigung fanden.

 

Hatten auch C. Corbeille und E. J. Baldes (1929) ihre Experimente über Lärmwirkungen auf Atmung und Kreislauf noch an Tieren durchgeführt, so untersuchte die Gruppe von D. A. Laird dasselbe an Menschen (D. E. Laird, 1930), ferner Stoffwechsel und Muskeltonus (D. A. Laird, 1929) sowie Verdauung (E .L. Smith, D. A. Laird, 1930/31). Die erste Arbeit über das Absinken des Hautwiderstandes stammt von R. C. Davis (1932). Eine Zusammenfassung dieser Untersuchungen gab F. L. Hormon (1933).

 

Monographien über das Lärmproblem veröffentlichten F. C. Bartlett (1934) und N. W. McLachlan (1935), eine ganze Serie von Forschungs- und Literaturberichten der U. S. Public Health Service (1938).

 

3. 2. Lärmschutzbewegungen und juristische Fragen

 

Bereits kurz nach der Jahrhundertwende bildeten sich die ersten Antilärmvereine in den USA und Deutschland. Theodor Lessing verfasste eine fast hundertseitige "Kampfschrift gegen die Geräusche unseres Lebens" (Th. Lessing, 1908) und Hermann Hasse berichtete später [1914] über "Die internationale Lärmschutzbewegung".

 

In vorderster Front stand stets die Stadt New York. Hier bildete etwa eine Miss Rice die "Society for suppression of unnecessary noise", die sich um die Minderung des Lärms im Hafen und später auch in der Nähe von Spitälern und Schulen bemühte. 1925 wurde in derselben Stadt ein erster Zeitplan für Lärm ausgearbeitet, und bald darauf legte die "New York City Noise Abatement Commission" (1930) einen ausführlichen Report über "City Noise" vor.

 

Spätestens seit dieser Zeit mussten sich die Juristen mit Flughafenproblemen wie Landenteignung, Überflugsrechte (trespass) und Belästigung (nuisance) befassen (vgl. z. B. L. F. Falkin, 1932; E. C. Sweeny 1932, 1933 und 1934; R. W. Childs, 1933; W. H. Lloyd, 1934). Wohl einer der ersten Prozesse war bereits 1921 in Szene gegangen (Reinhardt vs. Newport Flying Service Corp. N. Y., 1921).

 

3. 3. Fluglärmforschung und -bekämpfung

 

Zahlreiche Techniker (z. B. R. S. Capon, 1933) gingen damals das Problem der Lärmverminderung von Propellerflugzeugen an, nachdem schon unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg die Propellergeräusche untersucht worden waren (E. J. Lynam, H. A. Webb, 1919). A. H. Davis (1931) stellte Lärmmessungen zuerst im offenen Cockpit, dann in Flugzeugkabinen an, wobei er den Einfluss von schalldämmenden Material untersuchte. Dem Kabinenlärm widmeten sich auch E. D. D. Dickson et al. (1939; E. D. D. Dickson, 1942) und später S. Lippert und M. M. Miller (1951), welch letztere in diesem Zusammenhang einen "Acoustical Comfort Index" entwickelten. Eine Monographie über "Human Factors in Air Transport Design" gab R. A. McFarland (1946) heraus.

 

Zu den allerersten Forschungsarbeiten im Lärmbereich gehören solche über Hörverluste durch Eisenbahnlärm und Berufsarbeit. Solche wurden bereits in den achtziger Jahren des letzten [= 19.] Jahrhunderts durchgeführt.

Über Hörverluste bei den Prüfern von Flugzeugmotoren berichteten dann mehr als 50 Jahre später A. Marulli (1937) und F. Kipp (1946), bei Piloten C. Firestone (1938). Leistungen einer Crew unmittelbar nach einem Flug und später noch einer Erholungsphase untersuchten A. T. Welford et al. (1950).

 

Spezifische Studien über die extraauralen Auswirkungen von Fluglärm führten Stanley S. Stevens et al. (1941), A. L. Finkle und J. R. Poppen (1948) und H. O. Parrack et al. (1948) durch. Finkle und Poppen beobachteten Personen, die an Prüfständen von Düsenflugzeugmotoren wiederholt während zwei Stunden einem Lärm von 120 dB exponiert waren, Parrack et al. solche, die einem Lärm von Strahlturbinen und Sirenen in der Stärke von 150 dB ausgesetzt waren. Stevens et al. bedienten sich dagegen im Psychoakustischen Labor der Harvard Universität eines simulierten Flugzeuglärms von 90 und 115 dB zur Untersuchung von vegetativen Reaktionen, psychomotorischer Leistungsfähigkeit und Geschicklichkeit von fünf Versuchspersonen.

 

Galten die Beobachtungen in der Nähe von Düsenmotoren hauptsächlich dem Einfluss auf vegetative Funktionen (vgl. auch E. D. D. Dickson und N .P. Watson, 1949; E. D. D. Dickson und D. L. Chadwick, 1951; J. L. Sataloff, 1953; U. S. Air Force, 1956), so befragte Stevens seine Personen zusätzlich über subjektive Empfindungen. Für die höhere Lärmstufe ergaben sich mehr Angaben über Ermüdungsgefühle und gesteigerte Reizbarkeit.

 

Einige Beachtung fanden die Untersuchungen von H. Davis (1958; 1958) an Personal der U. S. Navy (vgl. auch W. A. Wilbanks et al., 1956; W. D. Ward, 1957), das mit Startoperationen auf einem Flugzeugträger zu tun hatte (l110-140 dB). Dabei wurden nicht nur die Leistungsfähigkeit und Geschicklichkeit in verschiedenen Tests erfasst, sondern es fand auch eine psychiatrische Untersuchung statt. Diese ergab, dass die dem stärksten Lärm ausgesetzten Personen zumeist eine geringere Leistung erbrachten und mehr Angstgefühle zeigten. Diese Angst rührte aber wohl davon her, dass ihre Arbeit in unmittelbarer Nähe der Maschinen gefährlicher und schwieriger war, denn sie beurteilten den Düsenlärm nicht als störender (more disturbing) als einige der weniger exponierten Gruppen; sie sind an den Lärm als unvermeidliche Begleiterscheinung ihres Arbeitsplatzes gewähnt.

 

Bolt Beranek und Newman Inc, Karl D. Kryter und Mitarbeiter, Kenneth N. Stevens, A. C. Pietrasanta sowie Douglas W. Robinson und Mitarbeiter setzten solche Fluglärmuntersuchungen in diesen Jahren fort, unter anderem auch mit Helikopterlärm (z. B. D. W. Robinson und J. M. Bowsher, 1961), nachdem schon J. N. Cole und H. E. von Gierke (z. B. 1957) den Lärm beim Start von Raketen untersucht hatten.

Ausgehend von ihren Ergebnissen haben K. D. Kryter und Karl S. Pearsons die neue Grösse "Perceived Noise Level" (PNL, Lärmstärke) als Mass für die Störwirkungen eines Geräusches eingeführt.

Von besonderer Bedeutung sind auch die zahlreichen und vielfältigen Untersuchungen des Wright Air Development Center der Wright-Patterson Air Force Base in Dayton, Ohio (vgl. z. B. J. F. Corso, 1952).

 

Ein erstes Handbuch über und für diese Forschungen hat die Firma Bolt Beranek und Newman Inc bereits 1952/53 in zwei Bänden erstellt (siehe W. A. Rosenblith, K. N. Stevens et al., 1953).

 

Auch in der Bundesrepublik Deutschland haben E.-A. Müller und F. J. Meister seit Mitte der fünfziger Jahre ähnliche Untersuchungen über den Lärm von Düsenflugzeugen durchgeführt. Besonders auf physiologische Auswirkungen von Lärm allgemein und Fluglärm im besondern waren die Forschungen des Instituts für Hygiene und Arbeitsmedizin Essen der Ruhr-Universität (Prof. Dr. Günther Lehmann) in Verbindung mit dem Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie, Dortmund (z. B. G. Lehmann, J. Meyer-Delius, 1958) ausgerichtet.

 

Im Jahre 1960 hat die OECD (Organization for Economic Co-operation and Development) zwei Arbeitsausschüsse eingesetzt, welchen die physikalischen Gegebenheiten (Ausschuss I) und die physiologischen, psychologischen und soziologischen Auswirkungen (Ausschuss II) des Fluglärms als Arbeitsgebiete übertragen wurden. Der erste Ausschuss empfahl in der Folge die Messung des Fluglärm in PNdB (PNL) und zu Kontrollzwecken in dB(A), der zweite Ausschuss arbeitete unter anderem einen Fragebogen aus (OECD, 1963; E. Jonsson und P. Atteslander, 1963), der bei Umfrageaktionen über Fluglärmstörungen als Unterlage dienen sollte. Er stützt sich auf Untersuchungen, von denen nachstehend die Rede sein soll.

Die ISO (International Organization for Standardisation) schliesslich gab 1964 einen Empfehlungsentwurf über Messung und Bewertung von Fluglärm heraus (ISO, 1964), der kurz darauf von einem Vereinfachungsvorschlag ergänzt wurde, der gemeinsam durch Deutschland und die Schweiz ausgearbeitet worden war (Simplified Methods, 1964). Die Schweizer konnten sich dabei auf Untersuchungen des Instituts für Hygiene und Arbeitsphysiologie der ETH, Zürich, und der Abteilung Akustik und Lärmbekämpfung an der EMPA, Dübendorf, stützen.

 

3. 4. Sozio-psychologische Fluglärmuntersuchungen

 

Die ersten Untersuchungen des Einflusses auf das subjektive Erleben und Befinden von Flughafenanwohnern datieren aus den frühen fünfziger Jahren. F. S. Elwell liess im Jahre 1953 ein kleines Propellerflugzeug einigemale mit und einigemale ohne schalldämmende Vorrichtungen über 10 Gemeinden in der Nähe von Boston fliegen. Zwar stellte er dabei eine signifikante Reduktion der Anzahl Klagen (complaints) fest, wenn das leisere Flugzeug geflogen war, doch ergab sich keine Korrelation zwischen dB(C)-Lärmpegel und den Klagen. Diese Studie erfolgte wohl im Rahmen einer rasch zunehmenden Fülle von Untersuchungen über die sogenannten "Community Reactions" auf Fluglärm.

Wie H. O. Parrack (1957) in Kapitel 36 des "Handbook of Noise Control" berichtet, war es wiederum der Kreis um Bolt Beranek and Newman Inc., der diesem Problem Aufmerksamkeit schenkte (W. A. Rosenblith und K. N. Stevens, 1953; K. N. Stevens, W. A. Rosenblith und R. H. Bolt, 1955; K. N. Stevens und A. C. Pietrasanta, 1957).

 

Die Ergebnisse einiger ihrer Fallstudien, welche Aktivitäten der Bevölkerung wie Klagen per Telephon und Brief, Drohungen mit gerichtlichem Vorgehen und organisierte Protestaktionen auf verschiedene Arten von Lärmexpositionen - darunter auch Fluglärm - erfassten, finden sich z. B. bei K. D. Kryter (1970, 448) zusammengestellt. Diese beobachtbaren öffentlichen Reaktionen wurden in sieben Stufen angeordnet. Gleichzeitig schlugen W. A. Rosenblith und K. N. Stevens ein Mass zur Erfassung von Umgebungslärm vor, das sie "Composite Noise Rating" (CNR) tauften. Es stellt auf eine 24stündige Erfassung des Lärms ab.

 

Ähnliche Lärmbelastungsmasse wurden später u.a. von E. Becker ("Indice de Classification" R, 1959), A. C. McKennell ("Noise and Number Index" NNI, 1963), E. Koppe, K. Matschat, E.-A. Müller sowie W. Burck ("Störindex" Q, 1963, 1965) und D. E. Bishop und R. D. Horonjeff ("Noise Exposure Forecast" NEF, 1967) entwickelt. Im Jahre 1968 schlugen F. J. Langdon und W .E. Scholes fur die Messung der Belastung durch den Strassenverkehr den "Traffic Noise Index" (TNI) vor, der ein Jahr darauf von D. W. Robinson zu einem "Noise Pollution Level" (NPL) erweitert wurde.

 

Eine umfassende Übersicht über alle diese "Community Noise Ratings" gibt Th. J. Schultz (1972).

 

Die erste Untersuchung, die einer Analyse von Klagen über normalen Fluglärm galt, führten Leo L. Beranek, Karl D. Kryter und Laymon N. Miller (L. N. Miller et al., 1959) durch. Sie stützten sich dabei einerseits auf Daten, die ein in New York City eingerichtetes Büro für Lärmklagen gesammelt hatte, anderseits auf Zeugenaussagen bei einem Prozess in Newark, New Jersey, den einige Bürger im Jahre 1958 wegen Lärmbelästigung gegen die Fluggesellschaften angestrengt hatten.

Die hauptsächlichsten Einzelbeschwerden betrafen dabei die Störung der Konversation durch Fluglärm, die zweitwichtigsten - gemessen an ihrer Anzahl nicht aber an Gefühlsintensität - betrafen die Störung von Schlaf und Ruhe, die drittwichtigsten Angst vor einem Flugzeugabsturz. Diese Ergebnisse sollten später durch andere Forschungen immer wieder bestätigt werden.

 

Dieser aus öffentlichen Klagen und subjektiven Belästigungen kombinierten Mischstudie waren bereits eine Studie über "Community Responses" in der Umgebung von Raketenabschussrampen (J. N. Cole und H. E. von Gierke, 1957) sowie zwei Untersuchungen vorausgegangen, die ganz den subjektiven Belästigungen gewidmet waren.

 

Wie H. O. Parrack (1957) berichtet, hatte bereits 1952 das National Opinion Research Center der Universität von Chicago unter der Leitung von Paul N. Borsky (1954) in der Umgebung von 8 amerikanischen Zivilflugplätzen insgesamt 3635 Personen über Lärmbelästigung, Einstellungen und Meinungen, Berufs- und Familienverhältnisse usw. befragt. Dabei ergaben sich u.a. folgende Resultate:

 

  • Der Prozentsatz der Personen, die "grosse Lärmbelästigung" (annoyance) angaben steigt von 6 % in der niedrigsten Lärmschicht bis auf 63 % in der höchsten Lärmschicht; umgekehrt nimmt die Angabe "keine Belästigung" von 62 % auf 12 % ab. Der Anteil von "einiger Belästigung" bleibt auf allen Lärmstufen etwa zwischen 30 und 40 %.
  • Der grösste Lärmeinfluss trifft Schlaf und Kommunikation; freilich ist auch der Strassenlärm ein starker Störfaktor für den Schlaf.

Zu bemerken ist, dass "Annoyance" nicht direkt erfasst worden war, sondern es wurden von zwei Beurteilern drei Gruppen "no", "some" und "great annoyance" erstellt, und zwar unter Berücksichtigung aller Antworten, welche Fluglärm betrafen.

Dabei kam bereits eine Liste von Störungen zur Anwendung, die auch bei späteren Studien immer wieder verwendet wurde. Diese Störungen betrafen fünf Bereiche:

  • Schlaf, Ausruhen, Erholung
  • Radiohören, Fernsehen
  • Konversation
  • TV-Bild
  • Arbeit, Hausarbeit, Nachdenken.

 

Höchstwahrscheinlich über dieselbe Untersuchung berichteten H. Devis et al. (1954). Donald E. Broadbent (1957, 10-3f, 10-8) nimmt im 10. Kapitel des "Handbook of Noise Control" darauf Bezug und erwähnt, dass über 80 % der "stark durch Fluglärm Belästigten" sich auch mit anderen Umweltbelastungen beschäftigten.

In Schweden befragten G. Carlsson et al. (1959) in den Jahren 1958 und 1959 257 Personen in der Umgebung der Flugplätze Halmstad und Bromma (vgl. E. Jonsson, 1964). Einen "Zwischenbericht" über diese und weitere Studien legten G. Carlsson und H. Ronge (1962) dem Ausschuss II der OECD vor. Von einer weiteren Untersuchung, die 1958 in kleinem Rahmen um einen schwedischen Militärflugplatz durchgeführt wurde, berichten R. Rylander et al. (1972, 422). Vermutlich handelt es sich um die Untersuchung des Flugplatzes Halmstad.

 

Hatte die erste Studie von Borsky Zivilflughäfen gegolten, so erfasste seine klassisch gewordene Studie (P. N. Borsky, 1958, 1961) 22 Gemeinden in der Umgebung von drei Militärflugplätzen. Die Befragung von insgesamt 2300 Personen war bereits 1955-1957 durchgeführt worden.

Als interessante Ergebnisse mögen erwähnt werden, dass

  • Personen, die am längsten in einer Wohngegend mit Fluglärm wohnen, sich am meisten gestört fühlten,
  • dass die Angaben über Lärmbelästigung weder von Alter, Geschlecht, Schulbildung, Einkommen und Beruf nennenswert abhingen.

In den sechziger Jahren erfolgten dann die ersten grossen Untersuchungen in Europa:

¨ um Heathrow wurden 1961 1909 Personen erfasst (A. C. McKennell, 1963, A. Wilson, 1963); eine Nachuntersuchung fand 1967 an 4699 Personen statt (MIL Research Ltd., 1971; A. E. Knowler, 1971)

¨ bei einem Flugmeeting in Farnborough wurden 1961 60 Personen erfasst (D. W. Robinson et al., 1963)

¨ um Schipol wurden 1963 900 Personen befragt (vgl. TNO, 1964; G. J. van Os und B. van Steenbrugge, 1965; C. W. Kosten et al., 1967; C. Bitter, 1968/70)

¨ die Befragungen um die vier französischen Flughäfen Paris-Orly, Paris-Le Bourget, Lyon und Marseille (ca. 2000 Personen) fanden 1965/66 statt (vgl. G. Richter, R. Hoch, 1967; A. Coblentz et al., 1967; L. Nishikawa und R. Josse, 1967; M. Gilbert et al., 1968; R. Josse, 1969)

¨ nach einer Voruntersuchung 1966 an 562 Personen in Hamburg (M. Irle und B. Rohrmann, 1968) wurde 1969 in München an 660 Personen eine Untersuchung durchgeführt (Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, 1974), 357 Personen davon wurden auch psychologisch, arbeitsphysiologisch und medizinisch untersucht resp. getestet

¨ nachdem bereits Mitte der sechziger Jahre R. Cederlöf et al. (1967) Untersuchungen bei einem Flugplatz der Schwedischen Luftwaffe durchgeführt hatten, untersuchten R. Rylander et al. (1972) nach einer Vorstudie 1969/70 in den Jahren 1970 und 1971 etwa 2900 Personen in der Nähe von acht skandinavischen Flugplätzen.

¨ Eine vergleichende Studie über die Untersuchungen um Heathrow, Schipol und die französischen Flughäfen legte Ariel Alexandre (1970) in seiner Dissertation vor. Vgl. auch W. J. Galloway und D. Bishop (1970).

 

Tabelle 2 zeigt übersichtsweise eine Auswahl der wichtigsten Forschungsarbeiten, die zwischen 1919 und 1960 durchgeführt wurden und sich von der Erfassung der triebwerkcharakteristischen Schallausbreitung über die Untersuchung von Hörschäden und Fluglärmreaktionen im Labor bis zu den Enquêten bei Flughafenanwohnern erstrecken.

 



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