Home Ein Kompendium der Kabbala

 

Zum Werk

Alexandre Safran: Die Kabbala - Gesetz und Mystik in der jüdischen Tradition. Francke Verlag, Bern und München, 1966;
frz.: La Cabale: Paris: Payot 1960; mehrere Aufl. bis 1988.

 

 

Neben dem Alten Testament („Thora" - Lehre: 5 Bücher Moses) ist der "Talmud" (Belehrung) das Hauptwerk des orthodoxen Judentums. Es ist aus vielhundertjähriger mündlicher Überlieferung entstanden und wurde um 500 n. Chr. abgeschlossen.

 

Es zerfällt in die "Mischna" (kanonische Gesetzessammlung) und die "Gemara" ("Vollendung"; Kommentar dazu). Entsprechend der zwei Gemara gibt es einen jerusalemischen und einen jüngeren, massgeblicheren babylonischen Talmud.

 

Man unterscheidet zwei Gattungen des talmudischen Stoffes:die "Halacha" (Gesetz und Diskussion darüber) und die "Aggada" (Belehrung, Erbauung, Geschichte und Ethik), zu der die "Midreach" (Forschung, Erklärung) gehört.

 

Die Kabbala ist keine Mystik

 

Daneben und doch eng damit verflochten besteht die "Kabbala", die oft als mystische Lehre des Judentums bezeichnet wird. Ihr Gegenstand ist die Offenbarung der Thora Gottes auf dem Berg Sinai, und ihr Name bedeutet Überlieferung oder besser: Tradition.

Das Hauptkennzeichen ist die "Schalschelet", die vertikale Kette, deren oberes Ende Gott hält, und durch deren Ergreifung der Mensch die Welt mit Gott zu verbinden trachtet.

 

Die Kabbala ist insofern Mystik, als es um die erfahrungsmässige Erkenntnis des gewiss existierenden, aber unbeweisbaren und unvorstellbaren Gottes geht, ist aber nicht Mystik, da der Mensch, welcher der Lehre der Kabbala gemäss lebt, sich nicht in Gott verliert, sondern nur das von diesem ihm auferlegte Joch (die Thora und die "Mizwot"-Gebote), den göttlichen Willen auf sich nimmt.

"Der Mensch der Kabbala wird nicht mit Gott eins und stellt keineswegs jene von den nicht-jüdischen Mystikern genannte Unio mystica her, wobei er sein eigenes Bewusstsein aufgäbe und sich im Absoluten verlöre. Er trachtet vielmehr darnach, durch die 'Bindung an Gott', durch die Dewekut, ganz Gottesmann zu werden ... Die Dewekut verbindet in Liebe den Menschen zu Gott.“

Diese Liebe ist eine vergeistigte; ihr Ziel ist die gewissenhafte Suche nach dem Wissen, der Wahrheit, und ihr Zeichen ist die Freude.

Das Ziel der Kabbala "ist ausschliesslich ethisch. Ihre Spannkraft liegt im Handeln. Die gesamte Kabbala stellt eine eifrige, dauernde und stets erneute Tat dar." Sie ist also, obwohl sie sich zuerst nur an die Eingeweihten richtet, allen offen,denn sie ist praktisch, eine Wissenschaft des Lebens.

 

Gesetz und Poesie

 

Erst seit dem 12.Jahrhundert wurde die Kabbala esoterisch und bildete mit der jüdischen Mystik eine Einheit. Erläutert wird sie durch die „Chassidim" (Glaubigen).

Grundlage der jüdischen Mystik ist das "Sefer Jezira" (Buch der Schöpfung). Hierin wird die göttliche Schöpfung der Welt in zehn Stufen (Sefirot) angeordnet.

 

Das göttliche Licht erleuchtet, ohne zu blenden; es ist voll Glanz. Deshalb heisst das grundlegende und zusammenfassende Buch der Kabbala "Sohar" (Lichtglanz). In ihm findet sich wie in allen andern Schriften eine Verbundenheit von Gesetz mit Poesie. Das "Gesetz" bildet Ausgangs- und Interessemittelpunkt der jüdischen Geschichte:

"Die theoretische und praktische, heitere und leidenschaftliche Debatte über das Gesetz und seine Verwirklichung ist die Konstante der jüdischen Geschichte .... Die Geschichte Israels ist also in Wirklichkeit eine Geschichte des Gesetzes, das von Gott offenbart, von Israel aber ausgearbeitet worden ist, und immer wieder neu ausgearbeitet wird."

 

Schriftliche und mündliche Thora

 

So ist Israel das "Volk des Gesetzes". Dieses Gesetz, die schriftliche Thora, legt es im Talmud und in der Kabbala aus, welche eine mündliche Überlieferung, Unterweisung, und damit unfertig, vollendungsfähig sind. Es "spiegelt die mündliche Thora das jüdische Leben, die jüdische Seele wider. Ohne diese Seele bliebe die schriftliche Thora ein lebloser Körper ... Die mündliche Thora wird also vom mystischen Hauch durchweht. Sie ist eine von dem Gesetz formulierte Mystik".

 

In der Kabbala wirken schriftliche und mündliche Thora wechselseitig zusammen. Ihre Verbindung ist das Heute, der je sich erneuernde gegenwärtige Augenblick: "Durch sein an Widersprüchen reiches Leben verkörpert Israel die Kabbala. In ihr ergibt sich ein 'Phänomen der Polarität'. Ein Verhalten von Unterwürfigkeit und Auflehnung kennzeichnet seine Beziehungen zu Gott. Den Menschen gegenüber zeigt es sich konservativ und zugleich revolutionär ...

Das wahre 'Israel' lebt in der Spannung ... Die jüdische Geschichte wird von 'Paaren' verwirklicht ..., die durch ihren 'Gegensatz' die geistige Einheit ihrer Zeit schaffen."

 

Ein Gleichgewicht zwischen Mystik und Gesetz herrscht seither:"Die Harmonie, die der Mensch der Kabbala in seinem Leben zwischen Gesetzlichkeit und Mystik herstellen will, spiegelt sich wider in der Verflochtenheit von Legalismus und Mystizismus in den grösseren theoretischen Werken der Kabbala."

 

Ausserordentlich fundiert und sorgfältig (50 Seiten Anmerkungen in Kleindruck - schade, dass ein Register fehlt), jedoch sehr abstrakt - die "Schauung der Herrlichkeit Gottes" kommt etwas zu kurz - und enorm kompliziert stellt Alexandre Safran (* 1910) den immensen Bereich der Kabbala, des jüdischen Lebens, Glaubens (Vertrauens) und Forschens dar.

 

Breiten Raum widmet er der gegenseitigen Beziehung von Mensch und Gott (Elohim, Jod-He-Waw-He, Ajin) sowie dem Verhältnis des Juden zu Überlieferung, Gesetz, Wort und Schrift, Geschichte und Natur.

Gestalten aus Jahrtausenden, Namen und Begriffe zuhauf, Schulen und geistesgeschichtliche Strömungen bis zur heutigen Zeit (Adolf Portmann, Karl Jaspers; moderne Physik) ziehen an unserem Auge vorbei: eine beinahe erdrückende Vielfalt. Detail häuft sich auf Detail, so dass sich ein Überblick nur schwer finden lässt.

 

Von ungeheurer Belesenheit und umfassender Sicht, zeugt Safrans minuziöse Zusammenstellung, die den Uneingeweihten in staunender, aber ratloser Bewunderung belässt. "Mensch der Kabbala" zu sein, beansprucht eben den ganzen Menschen und ist eine Lebensaufgabe.

 

(erschienen in den „Basler Nachrichten“, 19. März 1969)

 




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