Grosslogen, Orden und Oriente, Kapitel und Obedienzen rund um die Welt
Winfried Dotzauer: Freimaurerei global. Innsbruck: StudienVerlag 2009.
Es ist unverständlich, dass ein angesehener Verlag wie der „StudienVerlag“ Innsbruck ein halbfertiges Buch mit derart vielen Tipp- oder Druckfehlern auf den Markt wirft.
Viele Tippfehler und Ungenauigkeiten
Jahreszahlen wie 17740 (24), 17739 (108) oder 1830b (33) und ^859 (98) oder kuriose Schreibweisen wie „Grane Loge“ (28), „Gro0logensysteme“ (41; ähnl. 154), „La Haye“ (32, für Den Haag), „Istambul“ (70) und „Mogadir“ (133), „die irden Jahren“ (33) oder „radikale Teden“ (133), „LEDIGLICH / Logen“ (70), „Thornes“ (73) und „Oren“ (114) oder die „parafreimaurererische“ „Oranges Society“ (23) oder „Opus Die“ (92), „Sides Orders“ (104), „New Yorker Ritus“ (111) und „Rote d’York“ (111) verleiten ja noch zum Schmunzeln, doch die vielen falsch geschriebenen Namen wie Laurence Dermatt (20), Willermot (37), Andrea Johnson (102, amerikanischer Präsident) oder Albert Pille (103) sind ärgerlich. Der Zürcher Johann Caspar Bluntschli wird kurz hintereinander einmal mit J. K. (40), einmal mit J. C. (42) angegeben; ein „Colonel Fougallaz“ (32) wollte in den 30er Jahren in der Schweiz ein Verbot der Freimaurerei erwirken.
Bei der 1773 gegründeten „’Grande Loge Nationale’ (Grande Loge de France, Grande Loge de Clérmont)“ soll von 1701-1796 Inaktivität geherrscht haben (26), der „Grand Orient de France“ soll von 1617-1910 den „Nucleus der republikanischen Partei in Frankreich“ gebildet haben (27) - und was ist mit der italienisch Loge P3 (15)? Eine päpstliche Bulle soll „Humanis genu (1864)“ geheissen haben (40) - gemeint ist wohl die Enzyklika „Humanum genus“ von 1884. Mal schreibt Dotzauer bloss „Grossloge von England“, mal „Vereinigte Grossloge von England“ (154), mal „Grosse Vereinigte Loge von England“ (139,140), ein andermal gar „Grosslogen von England“ (142), mal spricht er vom „A. u. A. Schottischen Ritus“ (106), mal vom „A. u. A. Ritus“ (108), dann vom „Rite Ecossais A. et A.“ (108) und einfach vom „Schottischen Ritus“ (110) und von „Schottischen Logen“ (140), usw.
Mal werden die Namen der Grosslogen oder Logen in Gänsefüsschen gesetzt, mal nicht, mal werden nur die Anführungszeichen, aber nicht die Schlusszeichen gesetzt.
Wie stets sind auch einige Persönlichkeiten als Freimaurer angegeben, die zumindest umstritten sind (wie Mirabeau und Condorcet, 25, oder Klopstock, 43) oder definitiv keine waren (wie d’Alembert, 25). Dafür fehlen etwa Hahnemann und Hufeland, Knigge, Krause, Fichte und Heine. Es war auch nicht Georg Kloss, der die Bibliothek des niederländischen Prinzen Friedrich ausschöpfte (33), sondern umgekehrt: Frederik führte das Werk von Kloss weiter. Eher unwahrscheinlich ist, dass 1994 in Deutschland 22 000 Freimaurer aktiv waren (43) – meistens spricht man von etwa 14 000.
Über Jahrhunderte: zu enger Horizont der Freimaurer
Winfried Dotzauer (* 1936) war lange Jahre Professor für Neuere Geschichte und Geschichtliche Landeskunde an der Universität Main. Daher leitet seine Sammlung von Informationen über die Entwicklung der modernen Freimaurerei in fast allen Ländern der Welt mit hochgestochenen „essayhaften Vorüberlegungen“ ein, die reichlich mit Fremdwörtern garniert sind, wie „episodale Hinweise“ (10), „pervertierte Konditionierung“ (10), „widerspruchslos enthusiasmieren“ (12), „Deprivierungen“, 14; „Dichothomien“ (sic, 18, auch 16), „Diaspora“ (18), „Partizipanten“ (17) und „Proselyten“ (18). In einer geschraubten Sprache kritisiert er die stets nationale Ausrichtung der Freimaurerei (statt des Kosmopolitismus), die Kluft zwischen Worten und Taten und die „Reserviertheiten gegenüber Frauen, Juden, Katholiken und Farbigen“ (14; vgl. 10, 12). „Die Freimaurer verwirklichten sich in den einzelnen werdenden jungen Nationalstaatlichkeiten des 18. und 19. Jahrhunderts entweder im konservativen monarchistischen Fahrwasser oder im Verbund mit der artverwandten liberalen Ideologie, nur im Einzelfall auch repräsentativ in der Zusammenarbeit mit einer sozialistischen Regierung (Frankreich)“ (13).
Kritisch geht Dotzauer auch mit dem Kolonialismus ins Gericht: „Entscheidend für das ganze 19. Jahrhundert blieb, dass sich die Unabhängigkeitstendenzen der ost- und südeuropäischen und der amerikanischen und australischen Staaten zwar mit der freimaurerischen Ideologie nicht nur vereinbarer, sondern diese sogar als Treiber benutzt werden konnten, aber für die afrikanischen und asiatischen kolonialisierten Staaten sich diese Ideologie als europäisch und hegemonial diffamierend zeigte“ (12).
Das jahrhundertelange Versagen der Freimaurerei, auf eine „Weltordnung im Zeichen der Humanität“ hinzuarbeiten, veranlasst Dotzauer zu folgender Bemerkung: „Wir glauben heute zu wissen, islamischer Fundamentalismus, vorher der Kommunismus in der russischen, weiteren osteuropäischen und in der chinesischen Version, Nationalsozialismus, Faschismus und katholischer Kurialismus haben keine Zusammenarbeit mit den freimaurerischen Institutionen geduldet bzw. lehnen diese auch heute ab. Aber gerade hier hätten in den zurückliegenden Jahrzehnten Brückenschläge von beiden Seiten aus wahre Wunder bewirken können“ (13).
Verwirrendes Panorama der Freimaurerei weltweit
Auf 140 engbedruckten Seiten entfaltet Dotzauer hernach das Panorama der Freimaurerei von 1717 bis, je nachdem, etwa 1900 oder 1945. Die Gegenwart ist meistens ausgespart, da dies „veränderte Verfahren historischen und archivalischen Arbeitens“ erforderte, „in vielen Fällen geradezu pionierhaften Eroberns bislang noch unzugänglicher Quellen“ (18). Dennoch gehen fragmentarische Angaben manchmal bis in die 1950er Jahre – z. B. für die Türkei (70) und Brasilien (124) – oder bis noch später, z. B. für Italien (88), Panama (116), Israel (136) und Indien (145f).
Vieles wird nicht klar. Da ist in bunter Folge von Grossloge und Grand Orient die Rede, von Orden und Kapiteln, Symbolischen Grosslogen, Distriktslogen, Grosskapiteln und Grosskonklaven, Obedienzen (auch Obödienzen, 133, 152-156), Provinzialen Grosslogen und Grossen Provinzial-Logen, vom Obersten Rat, Suprême Conseil und Grosskommandeur, usw.
Besonders ausführlich werden Deutschland (10 Seiten) und die ehemaligen österreichischen Erblande abgehandelt, aber auch Polen (8 Seiten) und Italien (8 Seiten); demgegenüber fallen England und die USA mit je 5 Seiten ab. Am Schluss werden nach den sechs Provinzen von Australien noch husch husch ohne eigene Kapitelchen Neuseeland und die Südsee gestreift, mit knappen Sätzen wie: „Auf Tahiti waren in der Hauptstadt Papete (sic) je eine Loge des G. O. de France und der Grande Loge de France tätig“ (155).
Den spärlichen Literaturangaben ist zu entnehmen, dass sich der Autor vorwiegend auf allgemeine Nachschlagewerke und Lexika gestützt hat.
Was die Schweiz (30-32) betrifft, wäre Dotzauer gut beraten gewesen, z. B. das „Handbuch des Freimaurers“ der Forschungsgruppe Alpina (1999) zu Rate zu ziehen. So hätten sich falsche Namen - z. B. Alexandre Grand statt Girard - oder Ungenauigkeiten vermeiden lassen. Richtig wäre: Die Zürcher Loge „La Discrétion“ (1771) bekehrte sich unter Dietlhelm Lavater 1772 zur Strikten Observanz, nahm den Namen „Zur Bescheidenheit“ an. Der Innere Orden verbrüderte sich im Jahr darauf mit der Basler Loge „Libertas“ (hiess von 1768-72 „Zur Freiheit“) zur „Modestia cum Libertate“. (Eine andere Formulierung lautet: 1772 vereinigten sich „Modestia“ und „Libertas, zur Freiheit“ zu einer Schweizerischen Präfektur „Modestia cum Libertate“.) 13 Jahre später schlief der Logenbetrieb ein. Erst 1811 bildete sich in Zürich eine Johannis-Loge mit dem Namen „Modestia cum Libertate“.
Eine Revision des Textes drängt sich auf
Dotzauers Zusammenstellungen sind nicht einmal für historisch orientierte Freimaurer interessant. Sie sind zu wenig präzise, differenziert und systematisch.
Daher ein Vorschlag: Die gegenwärtige Version zurückziehen! Den Text sorgfältig und hartnäckig - im Sinne verbesserter „Faktizität“ (18) - bereinigen und weitere Literatur, auch gute Websites, beiziehen. Sinnvoll wäre es auch, zu trennen zwischen der „blauen“ Maurerei, den Hochgraden und den „irregulären“ Logen und dabei etwas Konsequenz walten zu lassen. So taucht etwa ganz unmotiviert in Deutschland (43), Belgien (53), Guadeloupe (109), Indien (146) und Neuseeland (155) der Droit Humain auf.
Damit das Werk auch einen praktischen Nutzen hat, drängt sich die Fortschreibung der nationalen Entwicklungen der Freimaurerei seit dem Zweiten Weltkrieg auf. Das liesse sich bewerkstelligen z. B. mit Hilfe des erwähnten „Handbuchs des Freimaurers“ und der darauf basierenden Zusammenstellung von Robert Minder („Freimaurer Politiker Lexikon“, Innsbruck: StudienVerlag (!), 2004) und der beiden von Kent William Henderson und Tony Pope herausgegebenen Bände “Freemasonry Universal” (1998-2000) sowie z. B. den Büchern von John Hamill und Robert Gilbert, Jasper Godwin Ridley, Tom Goeller und Tobias Churton. Schliesslich wäre das neue Werk einem Lektorat mit „Duden“ zu übergeben.
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