Knappe, aber umfassende Darstellung von Wesen und Entwicklung der Freimaurerei
Marco Carini: Freimaurer. Die geheime Gesellschaft. Bath: Parragon Books 2006; Nachdruck 2010.
Der grossformatige, aber dünne Bildband ist eine Kuriosität. Das Copyright stammt aus einem englischen Verlag, produziert wurde er von einer deutschen Projektagentur und gedruckt in Thailand. Der Autor wurde 1962 in Hamburg geboren, studierte Politikwissenschaft und Germanistik, war Redaktor bei der „taz“ und ist heute freier Journalist und Publizist. Er beginnt mit der Entstehung der Freimaurerei und formuliert deutlich: „Viele Episoden der Kultur- und Menschheitsgeschichte, aber auch der antiken Mythen und der biblischen Überlieferungen wurden von den Freimaurern für ihre eigene Vorgeschichte vereinnahmt. Sie sollen der Vereinigung die Aura grosser Tradition und ruhmvoller Herkunft aus geheimnisvollen Ursprüngen verleihen“ (10).
Ungenaue Schilderungen der Herkunft
Carinis Schilderung dieser Legenden ist lebendig, allerdings nicht präzise. So hat James Anderson (1723) niemals behauptet: „Das Feigenblatt des aus dem Paradies vertriebenen Adams wird als Vorform der Maurerschürze gedeutet“ (10). Dass beim Bau des Tempels von Jerusalem die Lehrlinge ihr Salär „an der Tempelsäule namens Boas“ (12) erhielten, würden zumindest die deutschen und Schweizer Freimaurer bestreiten, ebenso, dass der geheim gehaltene Kult der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin Demeter später „Eingang in die Riten der Freimaurer“ gefunden hat (14). Allerdings ist Carini unentschlossen, behauptet er doch auch, dass die antiken Kulte „nur bedingt als esoterische Wurzeln der Freimaurerei angesehen werden“ können (15). „Esoterik im Sinne einer Geheimlehre ist der Freimaurerei wesensfremd“ (36). Dennoch greift Carini später die Behauptung wieder auf: „Viele der Riten und Symbole sind … von den Mysterienkulten der Antike … übernommen worden“ (37; ähnl. 11, 39).
Auch die Theorie, dass die Freimaurer die legitimen Erben der Tempelritter sind, „gehört in das Reich der Mythen und Legenden“ (17). Dennoch wurden laut Carini viele Riten und Symbole von den „mittelalterlichen Geheimorden“ übernommen (37; ähnl. 11).
Unentschlossen ist Carini auch bezüglich der Pyramide. Einmal ist sie „noch heute eines der wichtigsten Symbole“ (10), ein andermal war sie „nie ein typisches Freimaurer-Symbol“ (81).
Unbefriedigend ist die kurze Kennzeichnung der mittelalterlichen Bauhütten und „Baubruderschaften“ als „eigentlichen Vorläufern der Freimaurerei“ (18). Da werden verschieden Zeiten vermischt. Brauchbar ist dagegen die Beschreibung der Gründung und anfänglichen Ausbreitung der modernen Freimaurerei und der dahinterstehenden Ethik: „Sie kennt keine Dogmen, starren Lehrsätze und abstrakten Morallehren, sondern beruft sich auf humanitäre Werte, die durch die Gemeinschaft der Brüder und über ständig wiederkehrende Rituale vermittelt werden. Das Irdisch-Materielle und das Geistig-Spirituelle, für das die Hauptsymbole Winkel und Zirkel stehen, soll harmonisch vereinigt werden“ (26).
Treffliche Erläuterungen von Menschenbild, Symbolen und Ritualen
Was das Menschenbild der Freimaurer, ihre Symbole und Rituale sowie Organisation betrifft, versteht es Carini, viel Verständnis zu wecken. Viel zu stark betont er jedoch die Hierarchie innerhalb der Loge und innerhalb der Grossloge (48-49). Ob die Rituale wirklich „mystisch“ sind (36, 39), bleibe dahingestellt. Aber seine Erläuterungen sind zutreffend: „Das Geheimnis der Freimaurerei besteht in einem nur dem Eingeweihten zugänglichen Wissen, das sich im Wesentlichen hinter Symbolen und Ritualen verbirgt. Es liegt im Wesen mystischer Rituale begründet, dass sie sprachlich kaum vermittelt werden können. Der hohe symbolische Gehalt dieser Handlungen wie auch die seelischen Erfahrungen, die der Einzelne während des Rituals sammelt, sind für Aussenstehende kaum nachvollziehbar. Selbst jemand, der um alle möglichen Bedeutungen der Symbole weiss und den genauen Ablauf der freimaurerischen Rituale kennt, erfährt nicht mehr als die Spielregeln. Das Ritual aber ist eine spirituelle Handlung, die nur derjenige ganz und gar begreift, der sie erlebt und innerlich nachvollzieht“ (44):
Hervorragende Darstellung der letzten 300 Jahre
Bei aller Knappheit hervorragend ist das letzte Drittel des klug illustrierten Buches, welches die Geschichte der modernen Freimaurerei seit 1717 klar und informativ darbietet. Einerseits werden die Gegnerschaft der katholischen Kirche (von 1738 bis heute), von staatlichen Obrigkeiten (z. B. 1795 Kaiser Franz II.) und des Nationalsozialismus begründet. Anderseits werden heikle Themen nüchtern dargestellt wie die Beteiligung von Freimaurern an Revolutionen und Freiheitsbewegungen, die jahrzehntelange Ausschliessung von Juden (bereits 34f), Frauen (bereits 58f) und Farbigen (72f) sowie die Utopie der Illuminaten (1776-85) wie auch die mit Kriminalität und Terrorismus verbundene „Strategie der Spannung“ der italienische Loge P2 zweihundert Jahre später (ca. 1967-81).
Für eine Mini-Skizze der weltweiten Freimaurerei (92f) scheint sich Carini auf Angaben des Rezensenten in der Schweizer Freimaurer-Rundschau „Alpina“ 8-9, 2002 gestützt zu haben.
Kleinere Fehler und Ungenauigkeiten
Als kleinere Fehler, die Carini unterlaufen sind, wären anzumerken: Winkel und Winkelmass sind nicht zwei verschiedenen Symbole (40). Der Teppich heisst auch „Tapis“ (41). Statt vom musivischen Boden (43) spricht man besser vom „musivischen Pflaster“ (engl. „Square Pavement“). Die älteste Forschungsloge wurde nicht 1844 in London gegründet (49), sondern erst 1886. Das gemeinsame Essen nach einer Tempelarbeit ist ein „Brudermahl“ oder eine „Tafelloge“; die „weisse Tafel“ (49) ist eine geistige Verarbeitung nach dem Essen.
Die sogenannten „schottischen Grade“ haben nichts mit der „traditionellen schottischen Maurerei“ (54) zu tun, und der Schwedische Ritus wurde jedenfalls nicht von Pernetty (55) gegründet. Lange nicht in allen Logen wird vom „Suchenden“ erwartet, „mindestens ein halbes Jahr lang die Gästeabende zu besuchen, die in regelmässigen Abständen stattfinden“ (57). Bei den nicht sehr zahlreich angeführten „berühmten Freimaurern“ (78-81; 90-91) sind Mirabeau und Klopstock fraglich. Dass die Mitgliedschaft von Diderot und Danton „nicht gesichert ist“, gibt Carini selber zu (80). Keine Freimaurer waren Charles Dickens (laut Denslow ein „anti-Mason“) und Louis Armstrong. Irreführend formuliert ist, dass in der Schweiz 1937 die Regierung versucht habe, „alle Logen per Volksentscheid zu verbieten“ (84).
Der „Droit Humain“ hat gemäss seiner Website 28 000 Mitglieder, nicht 400 000 (59). Übertrieben ist, dass die Mitgliedzahlen in England stark schwanken und „von 300 000 bis zu 1,1 Millionen Brüdern“ reichen (85). Für das Mutterland der Freimaurerei bewegen sich die Zahlen bloss um 330 000 bis 360 000 in über 8000 Logen. Obwohl in vielen Ländern ein dramatischer Mitgliederschwund zu verzeichnen ist (in den USA in den letzten 50 Jahren von 4,1 auf 1,5 Mio.) hat sich die Zahl der Freimaurer in den drei grossen Grosslogen in Frankreich (85) von rund 50 000 auf fast 100 000 verdoppelt. Dagegen weist Deutschland nur etwa 14 000 Freimaurer auf – die Schätzung „heute auf 13 000 bis 21 000“ (87) ist unnötig.
Der Literaturnachweis ist ausserordentlich spärlich, und bei vielen Abbildungen hätte man sich präzise Hinweise auf Urheberschaft und Datierung gewünscht.
Fazit
Abgesehen von den ungenügenden Ausführungen über die Herkunft („Mysterienbünde der Antike“, Tempelritter, „Baubruderschaften“) und den kleineren Fehlern: eine umfassende Darstellung von Wesen und Entwicklung der modernen Freimaurerei in knappster Form, verständlich geschrieben, ausgezeichnet bebildert.
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