Johann Gottfried Herder
Freimaurer – Fama Fraternitatis, 1802-1803
Aus: Wolfgang Kelsch: Licht – Liebe – Leben. Johann Gottfried Herder und die Freimaurerei. Zum 250. Geburtstag am 25. August 1994. Bayreuth: Quatuor Coronati Nr. 808, 1994 (Quellenkundliche Arbeit Nr. 31 der Forschungsloge), 35-40.
Mit freundlicher Genehmigung der Freimaurer Forschungsloge "Quatuor Coronati", Deutschland http://www.quatuor.coronati.org
Der vollständige Text ist abgedruckt bei: Johann Gottfried Herder: Sämmtliche Werke, hrsg. von Stephan Supan. Bd. 24, 1886, 126-138. Albin Freiherr von Reitzenstein: Herder. Berlin: Franz Wunder 1907 (Reihe Maurerische Klassiker, Bd. III). 41-62 mit leichten sprachlichen Retuschen und zum Teil ausführlichen Fussnoten, vielfach unter Verwendung eines Beitrags von Ritter in Asträa - Taschenbuch für Freimaurer, 1886, 63ff.
Der weiter untern zitierte Text von Sir Christopher Wren stammt aus der Schrift „Parentalia“, die von seinem Sohn zusammengestellt und von seinem Enkel 1750 (Nachdruck 1965) herausgegeben wurde. Herder selbst gab an: „Sammlung von [merkwürdigen] Lebensbeschreibungen, grösstentheils aus der Britannischen Biographie mit Semlers Vorrede Th. X. S. 489. Lebensbeschreibung des Christopher Wren. Note X.“ Theil 10 erschien 1770.
In dem Dialog "Freimaurer - Fama Fraternitatis" geht Herder auf die Vorwürfe und Beschuldigungen gegen die Freimaurer als die geheimen Drahtzieher der Französischen Revolution ein, die damals von vielen Seiten in Pamphleten und Streitschriften als Urheber des Umsturzes gegen Thron und Altar bezeichnet wurden. Er stellt die Frage nach der Wirkung der Freimaurerei in der Gegenwart, denn die Schönheiten der ihm bekannten Symbolik lässt bei den Aussenstehenden die Frage laut werden, zu wissen, "was hinter diesen Symbolen sei".
Drei Gesprächspartner Faust, Horst und eine junge Frau namens Linda führen den Dialog. In Faust erkennt man unschwer Herder, der kritisch und aggressiv der Freimaurerei den Vorwurf des "maskierten Trugs" macht, allein wegen der verbreiteten phantastischen Ursprungslegenden. Das Urbild Horsts ist Friedrich Ludwig Schröder, der - sehr zurückhaltend und vorsichtig - den Ursprung der Freimaurerei in den mittelalterlichen Dombauhütten sieht. Durch die weibliche Gesprächspartnerin Linda kommt der Disput bald auf die Frauen ausschliessende Männergesellschaft, die von Faust (Herder) damit erklärt wird, dass Frauen von ihrer Natur aus, als "geborene Freimaurerinnen" in den Grundsätzen der Humanität leben, während der Mann, aufgrund seiner bürgerlichen Pflichten im Beruf, eines Freiraumes bedarf, in dem er sich von seiner Umwelt einmal lösen kann. Diesen Raum findet er in der Loge.
Wenn Horst in dem Dialog die Bedeutung der Freimaurerei aus den alten Bauhandwerker-Bruderschaften erklärt, weist Linda dieser Bruderschaft ihre Aufgabe in der Gegenwart zu, "Auge und Herz der Menschheit" zu sein. Damit hat Linda intuitiv die humanitäre Aufgabe der Freimaurerei, so wie sie Herder sieht, erkannt. Die Bedeutung dieses Gesprächs liegt darin, dass Herder den Grundgedanken Lessings als einer "Gemeinschaft gleichgesinnter Geister" erweitert, da ihm Diskussionen über die rätselhaften-mythischen Ursprungslegenden nutzlos erscheinen. Wenn die Frage nach dem Sinn und Zweck des Bundes in der Gegenwart gestellt wird und Linda dies mit der Aufgabe "Auge und Herz der Menschheit" zu sein, umreisst, so lautet die Antwort in einem echt Herderschen Sinn, sich für die Humanität einzusetzen, damit man sie "an ihren Früchten erkenne".
(rot = Abweichungen oder Auslassungen vom Originaltext; dieser wird hier wiedergegeben anhand der Ausgabe „Sämmtliche Werke“ von 1886)
Text: Freimäurer - Fama Fraternitatis
Einleitung Herders für die Zeitschrift "Adrastea" [4 Bd, 8. Stück, 1802/03] [genauer: 4. Band, zweites Stück, Teil VIII]
(Text nach Ausgabe: Reitzenstein: Herder)
In den letzten zwanziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts breitete sich von England her allgemach und im Stillen eine Gesellschaft über Europa aus, die sich die Gesellschaft der Freimäurer nannte; bald darauf (Andersons Constitutionsbuch der Freimäurer. Die erste Ausgabe war, wie mich dünkt, 1738), erschien mit Unterschrift lebender Männer ein Constitutionsbuch derselben, das ihre Geschichte bis zum Grossmeister Salomo und Nimrod, ja bis zur Schöpfung der Welt hinaufführte. Man wunderte sich und lachte; Swift spottete über ihre bekanntgewordene Zeichen. Andre grübelten über das Geheimniss der Gesellschaft und suchten Licht; noch andre vermuteten viel Arges dahinter. Die Brüderschaft indess schritt im Stillen fort; in Deutschland, Holland, Frankreich, Spanien, in Italien, den nordischen Reichen und wo nicht sonst? entstanden Logen (mit welchem Namen sie ihre Versammlungen nennen;) sie machten Auffsehen, wurden beobachtet und - hie und da verfolget. Wiewohl sie nun öffentlich und vielfach erklärten, dass ihre Verbindung mit Religion und Politik nichts zu schaffen habe, dass von Gegenständen dieser Art in der Gesellschaft zu reden oder zu unterhandeln den Gesetzen ihrer Constitution zuwider sei, auch die hin und wieder bekannt gewordenen Gebräuche und Symbole keine Beziehung dahin zu haben schienen, so dauerte bei Staats- und Religions-Eiferern der Verdacht doch fort, so dass man ihnen am Ende des Jahrhunderts höchstlästerlicherweise sogar die französische Revolution beimessen wollte. Wogegen sich die Gesellschaft, nach wie vor, minder durch Protestation und Zank als durch ein stilles Bewusstseyn schützte. Wie lange sie vorher dagewesen? scheint eine müssige Frage.
Statt dessen fragt die Welt: "was hat die Gesellschaft gewirket? Wozu ist sie da? Was giebt sie sich für Zwecke? was gebraucht sie dazu für Mittel?" Das Symbol ihres Salomonischen Tempelbaues ist so schön; die Symbole ihrer Werkzeuge zu solchem Bau, Bleigewicht, Winkelmaas, Cirkel u. f. scheinen der Sache angemessen; das Bild ihrer Verbrüderung, ein "vestgeschlossenes Viereck, das von Ost gen West, von Nord gen Süd, von der Erde zum Himmel, von der Oberfläche des Erdbodens bis zu dessen Mittelpunkt reicht", ist so gross, die Eintheilung der Arbeiten "von Morgen zum Abend mit Ordnung und Ruhe, mit Fleiss und Lohn", die Säulen Muth und Stärke versprechen so viel, dass man zu wissen wünscht, was hinter diesen Symbolen sei, woran diese rüstige Verbrüderung seitdem gearbeitet und was sie zu Stande gebracht habe? Lessing legt ihr eine so grosse, so feine Absicht unter -
Nachfolgende Gespräche, die keine Ansprüche auf Lessings dialogische Grazie zu machen scheinen, sind dem Herausgeber der Adrastea zugekommen, und da er über die vorgelegte Frage keine Antwort zu geben weiss, so antwortete statt seiner eine zweite
Fama fraternitatis oder Ueber den Zweck der Freimäurerei, wie sie von aussen erscheint
(In den historischen Passagen stark gekürzt)
Faust = Herder Horst = F. L. Schröder Linda = (Caroline Herder?)
Faust: Wenn man von nichts Anderm zu reden weiss, spricht man von der Freimäurerei oder von Geistern; lass uns also, Horst, auch davon sprechen. Die Freimäurer eilen zu ihren Logen. Es ist heut ihr St. Johannisfest.
Linda: So lebt wohl, Freunde. Mein Geschlecht gehört zu diesen Geheimnissen nicht.
Horst: Wir beide auch nicht, Linda. Du kannst sicher bleiben und zuhören, wie Du einem Mährchen zuhörest.
Faust: Auch mitsprechen und sagen, wie dir das Mährchen gefällt. Zur Vertheidigung der Gesellschaft habe ich manches gelesen, das mich indessen doch nicht ganz befriedigt. Siehe das Constitutionsbuch, das mit dreister Stirn die Geschichte der Verbrüderung oder des Ordens, wie er sich nannte, bis zum Grossmeister Nimrod, bis zu Seths Säulen hinaufführt. Wer kann so etwas dulden?
Horst: Es ist die Geschichte der Baukunst, Faust, insonderheit der Baukunst in England, wie Jakob Anderson sie schreiben konnte; nichts weiter. Horaz Walpole hätte sie freilich anders geschrieben.
Faust: Christoph Wren auch; aber eben desswegen. Zwei so verschiedne Dinge mit einander zu vermengen, als ob sie Eins und dasselbe wären, das Blendwerk ist zu massiv. So scherzen mit dem Publicum, d. i . mit der gesammten vernünftigen Welt nur gemeine Mäurer.
Horst: Das Buch ist in England, zur Vertheidigung einer Zunft, wer weiss unter welchen politischen Umständen geschrieben –
Faust: Und die Deutschen Logen nehmen es an? Und bekennen sich zu dem grotesken Quid pro quo, fortwährend? –
Horst: Vielleicht weil es Züge der wahren Geschichte ihrer Gesellschaft enthält, die mit jener fremden verwebt sind. Ich mag in Sachen so ungewisser Art nie zu strenge urtheilen.
Faust: Und die
Züge sondert niemand? Wahrheit und Lüge, Schein und Seyn niemand? Die Gesellschaft lässt
einen Schimpf auf sich, der sie in den Augen der Welt entweder als Blödsinnige
oder als Täuschende darstellt! Wer tritt gern in solchem Verdacht auf? und wenn
ers zu seiner Zeit thun musste, welcher
honette Mann sucht nicht die erste, beste Gelegenheit, das falsche Licht zu
zerstreuen und sich auch nur vom Verdacht eines maskirten Truges loszusagen?
Horst: Wer liest solche Schriften?
Faust: Eine Menge. Bedenke, dass es Tausende der Gesellschaft giebt, die lesen, die von ihrem Ursprunge unterrichtet seyn wollen und gewiss nicht Kritik genug haben, den Geist voriger und entfernter Zeiten zu prüfen. Bedenke, dass es Brüder Redner giebt, denen alles Recht ist, was von Geheimnissen und Symbolen vorspiegelnd gesagt wird. Bedenke, dass Truggeschichten der Art nicht etwa nur im Druck, dass sie als hohe Offenbarungen und Aufschlüsse unsinnig-theuer im Dunkeln umhergehn, dem Verstande der Gesellschafter Hohn sprechen und die wahre Geschichte verderben –
Horst: Wer kann gegen alle Lügen?
Faust: Gegen alle Niemand; gegen die aber, die man selbst veranlasst hat, Jeder der Gesellschaft, der das Bessere weiss. Niemand muss zu einer Verbrüderung gehören wollen, die hinter einem solchen Schirm der Unwahrheit steckt, ja die mit ihm als ihrem Geburts- und Ahnenschilde hervortrat.
Horst: Wenn man damit aber den wahren Ursprung verhelen wollte?
Faust: Ist Verhelen und Betrügen Einerlei? Sage man, so viel man zu sagen gutfindet; mir nichts Falsches. Wer kann und darf für seine Ahnen stehen? Sind Wir die Ahnen? Die ganze bürgerliche, ja jede Geschichte geht aus barbarischen Zeiten hervor; wer kann, wer darf können für diese untergegangene Zeiten? Wir freuen uns, dass sie untergegangen sind; Ehre macht es uns, wenn wir zu ihrem Untergange beitrugen und etwas Besseres wurde. Wären, wie die Sage geht, die Freimäurer denn auch zuerst wirkliche Mäurer gewesen, was schadete es ihnen?
Linda: Gegentheils müsste es eine interessante Geschichte geben, wie sie sich zu einer so ausgezeichneten, durch alle Länder verbreiteten Gesellschaft emporgeschwungen haben. Ich wäre neugierig, eine solche Geschichte zu lesen und von aussen wenigstens das Schloss der Geheimnisse zu schauen, zu dessen Innerm ich nicht gelangen kann. Es wäre mir lieber als manche geheime Burg unsrer neuen Romane.
Faust: Lessing, in der Zueignung seines Ernst und Falk, sagt: "Auch ich war an der Quelle der Wahrheit und schöpfte. Das Volk lechzet schon lange und vergehet vor Durst."
Horst: Mir soll es lieb seyn, wenn sich ein Bruder fände, der der Gesellschaft diesen Dienst leistete.
Faust: Ein Ehrliebender, redlicher Bruder, dabei ein genauer, ein kritischer Kenner der Geschichte. Ihn schmerze das Irrsal der Menge und der auf seine Gesellschaft [der Freimaurer] geworfene Schimpf des Truges und des Betruges. Lessing und andre stehen da, räthseln über die Geschichte der Masoney; und die Gesellschaft schweiget. Sind Männer wie Lessing denn keiner Antwort, keiner Berichtigung wert? zumal da, wie ich glaube, das Geheimniss der Gesellschaft längst bekannt und ihre Geschichte nur ein Familiengeheimniss ist -
Linda: Ihr Geheimniss längst bekannt? Du machst mich aufmerksam, Faust.
Horst: Mich nicht minder.
Faust: Es ist, wie Lessing sagt, ein Geheimniss, das sich nicht aussprechen lässt, das auch nicht ausgesprochen seyn will, das aber die Gesellschaft selbst bezeuget.
Horst: Entweder Du bist selbst ein Freimäurer, Faust, oder - Hast Du etwa einen Zipfel von deines Vorfahren Mantel?
Faust: Den Ihr Beide habt, wenn Ihr aufmerken wollt auf das, was Jedermann bekannt ist, was auch Ihr sehet und höret. Sagen die Freimäurer nicht selbst, dass sie mit Religion und Politik nichts zu schaffen haben? Nun dann! Von geistigen Zwecken, die man einer solchen Gesellschaft immer doch zutrauen muss, wenn sie nicht blos zu Gastereien und Kindereien zusammen kommen soll, von geistigen Zwecken was bleibt ihr übrig?
Linda: Darauf wäre die Antwort nicht schwer: reinmenschliche Beziehungen und Pflichten. Sobald sie in die Religion oder Politik einschlagen, gehörten sie der Kirche oder dem Staat und wären nicht mehr Freimäurerpflichten.
Faust: Linda, wenn ich ein Mäurer wäre, reichte ich dir die Handschuhe. Religiöse und bürgerliche oder Staatsbeziehungen rein ab- und ausgeschlossen, was bleibt dem denkenden und thätigen Menschen, was bleibt einer bauenden Gesellschaft übrig, als der Bau der Menschheit? Ein grosses Werk! ein schönes Unternehmen! Alle blos bürgerlichen Zwecke engen den Gesichtskreis, wie Lessing vortrefflich gezeiget hat; von ihnen rein abstrahirend steht man auf einem freien und grossen Felde. Vielleicht nennen sie sich darum Freimäurer.
Linda: Ein schönes Unternehmen! Alle Anliegen der Menschheit können, dürfen sich an dies unsichtbare Institut wenden; es denkt, es sorgt für sie. Es hilft, wo es helfen kann und man ist niemandem Dank schuldig. Aus einer Wolke gleichsam kam die helfende Hand, und zog, ehe man sie gewahr ward, sich wieder zurück in die Wolke. Ich erinnere mich eines Romans, da ein hülfreicher Mönch so erschien; fast allgegenwärtig war er bei jeder Verlegenheit da, blickte, den Knoten lösend, hinein, und verschwand wieder. Je vester sich der Knoten schürzte, desto pochender wünschte mein Herz: „ach, dass doch bald der Mönch käme! Wo mag er jetzt seyn? Warum ist er nicht schon da?“ Bei kleinen Verlegenheiten meines Lebens habe ich mir zuweilen auch den Einblick des Mönchs gewünschet; dann gab mir selbst das Andenken an ihn Entschluss und Hülfe. Es ist angenehm, sich eine geschlossene, das Wohl der Menschheit berathende, im Stillen wirkende Männergesellschaft zu denken, denen ihr Werk gewissermaasse selbst ein Geheimniss sein muss, daran sie wie an einem endlosen Plan arbeiten.
Faust: Du siehest, Linda, warum dein Geschlecht von diesem
berathenden
und helfenden Bunde ausgeschlossen seyn darf und seyn muss. Zuerst, weil Ihr einer
solchen Sonderung menschlicher und bürgerlicher, Kirchen- und Staatspflichten
nicht bedürfet. Männer gehören dem Staat; ihrem Beruf und Stande, ihrer
bürgerlichen Pflicht und Lebensart sind sie mit so viel Banden und Rücksichten,
in denen sich Blick und Herz verengt, umflochten, dass ihnen eine kleine
Losschüttelung dieser Bande, eine Erweiterung des Gesichtskreises über ihre
enge Berufssphäre unentbehrlich, mithin Erholung und Wohltat wird. „Hier sind wir,
(mögen sie sich einander zusingen oder zusprechen,) die tägliche Lebensfesseln
abgelegt, Menschen.“
Linda: Der Mann bedarf eines Auffschwunges, und wir gönnen ihm solchen gern. Er muss sich zuweilen erweitern und erheben, dass er, Mann mit Männern lebe; sonst wird er, bei aller Mühe und Liebe, selbst uns alltäglich. Verübelt mirs nicht, Freunde; Euer Geschlecht begrenzt oder wie man sagt, bornirt sich zu bald, und erschwert sich seine Fesseln. Oft sinket Ihr unter ihrem leisen, aber fortwährenden Druck nieder und veraltet. Veraltet vor der Zeit unter Gewohnheiten, die Ihr nicht ändern wollt oder dürft. Vorurteile umschlingen uns vielleicht leichter als Euch; aber an Euch sind sie drückender und vester. Mit unsrer mehreren Elasticität und Seelenfreiheit sind wir gebohrene Freimäurerinnen am reinen Bau und Fortbau der Menschheit. Welchen grossen und schönen Gedanken hatte Sokrates, den ihm Aspasia nicht eingab?
Faust: Halt, Linda! Und doch gehört Ihr bei Euren grossen Gedanken und Imaginationen doch nicht in dies geschlossene Viereck des Berathens und Wirkens. Läuft nicht die Phantasie oft mit Euch fort? Ist nicht der gute Trieb bei Euch immer voran? Ihr seid zu thätig, zu barmherzig; der Augenblick übernimmt Euch. Auf Einmal würdet Ihr der gesammten Menschheit helfen wollen und alles verderben. Schon deshalb gehört Ihr nicht in jenes stillberathende, Leidenschaftslos wirkende Viereck della Crusca.
Linda: Was heisst das?
Faust: Es gab eine Akademie in Italien, die sich so nannte; das Sieb war ihr Sinnbild. Sie sichtete aber nur Worte; die Gesellschaft [der Freimaurer] hoffe ich, sichtet Unternehmungen, Thaten.
Linda: Im Dunkeln, bei stiller Nacht? Dass sie nur nicht unthätig zu lange sichte!
Faust: Bei Licht, hoffe ich, und bei hellem Lichte.
Faust: Und doch, Linda, wäre es ein grosser Mangel der Gesellschaft, wenn sich ihre Glieder nur unter einander forthülfen. Sie würde damit eine Art Judenthum, ein Staat im Staat. Vielmehr wünschte ich, dass diese Unsichtbaren, wie Bedürfnisslose Geister, sich selbst vergessend, nach aussen wirkten. Diese Partheilosigkeit machte die Gesellschaft zu einem Areopag des Verdienstes, der Sitten und der Talente. Träte sie jedem Edelwollenden, auch ausser ihrem Viereck, unsichtbar zur Seite, und unterstützte und belohnte ihn, weckte den Schlumernden, richtete den Gesunknen auf; wie manches würde für die Zukunft still vorbereitet, was jetzt noch nicht gethan werden kann, was aber gewiss geschehen wird und geschehen muss! Desshalb hab ichs gern, wenn ich höre, dass die Gesellschaft Talentvolle, rüstige Jünglinge, durch Stand, Rang, Güter, vorzüglich aber durch thätige Klugheit und Erfahrenheit vielvermögende Männer wählet. Jene, hoffe ich, bildet sie aus: denn sie führet ja die sichersten Werkzeuge der Richtigkeit als Symbole; diese braucht sie mit der Macht einer Gesellschaft in vervielfachter Kraft.
Linda: Allerdings vermag die Gesellschaft tausendfach mehr, als zerstreute Einzelne auch bei der edelsten Wirksamkeit zu thun vermögen. Diese verlieren sich, wie der getheilte Rhein, zuletzt im Sande; oder sie singen, wie die klagende Nachtigall, einsam.
Faust: Jene unterstützen einander und durch sich andre; sie wirken nicht nur durch vereinte, sondern auch mit Fortwirken in die Ferne des Raumes und der Zeiten durch eine beschleunigte, vermehrte Kraft. Eine Gesellschaft ist unsterblich; sie denkt und wirkt für die Nachwelt, der sie ihre Bemühungen zum Erbtheil überlässt; ein Erbtheil zum Vermehren, ein Anfang zum Vollenden, Wundern wir uns noch, Linda, dass die Gesellschaft sich unter ein Geheimnis verberge?
Linda: Das Geheimniss spricht sich selbst aus, stillschweigend; anders muss es sich nicht aussprechen wollen. Wer wird hervortreten und sagen: „Ich bin ein Vorsorger, ein Pfleger der Menschheit.“ Höchstens wird er sage: „ich wünsche es zu seyn, ich streben darnach, es zu werden.“ Und das sagt mein Klopstock: „ein Mann sagt nicht, was er thun will, noch weniger was er gethan hat; er thut und schweiget.“
Faust: Das bescheidene: "Ich bin ein Mensch; nichts Menschliches ist mir fremde" wäre also der Spruch der Gesellschaft [der Freimaurer].
Linda: Dem ich,
ausgeschlossen von ihr, meinen Spruch beifüge, den Spruch der Dido:
Faust: Und das Symbol der Gesellschaft wäre mit Recht ein nie vollendeter Salomonischer Bau; seine beiden Säulen heissen Weisheit und Stärke.
Linda: Und das Sinnbild der Verbrüderung wäre mit Recht ein geschlossenes Männer-Viereck, in das kein Weib tauget.
Faust: Und es wäre nichts Anmaasliches in dem Ausdruck: "das Viereck erstreckt sich von Ost zu West, von Nord zu Süd, von der Erde zum Himmel, von da bis zum Mittelpunkt der Erde."
Linda: Wenigstens in der Hoffnung.
Faust: Und das Geschäft der Freimäurer hiesse mit Recht Arbeit; vom Aufgange der Sonne bis zu ihrem Niedergange, unter Auffsicht, mit Vertheilung der Arbeit unter die Arbeiter, mit Ordnung -
Linda: Und mit Lohn, in der stillesten Kammer, der eignen Brust.
Faust: Ist mir recht, so nennen sies, die mittlere Kammer, das Heilige Salomonis.
Horst: Lange habe ich Eurem schönen Traum zugehöret. Woher weißt du denn, Faust, dass dem Allem so ist? Du bist ja kein Freimäurer.
Faust: Um das Geheimnis der Mäurerei zu wissen, sagt Lessing, braucht man nicht aufgenommen zu seyn. Selbst aus Schriften von ihnen oder über sie geschrieben, kenne ichs weniger, als aus den Gesinnungen und Thaten mehrerer Glieder, die ich kannte. Und, nochmals gefragt: was gäbe es, Religion und Politik ausgeschlossen, für ein andres, der Gesellschaft würdiges Geschäft, als eben mit reinem Ausschluss jener Beziehungen das Beste der Menschheit für jetzt und die kommenden Zeiten?
Horst: Wie aber?
Wenn sie von der Oekonomie, von Künsten, oder ich weis nicht, wovon sonst
sprächen?
Was ehemals die Freimäurer gethan, als sie noch wirkliche Mäurer waren.
„Was wir gothisch
nennen, sollte eigentlich die Saracenische, durch die Christen verbesserte
Baukunst genannt werden, die sich, zuerst in den Morgenländern, nach dem
Verfall des griechischen Reichs, durch den ungeheuren Fortgang dieses Volks,
das der Lehre Mahomets folgte, anfing. Dies Volk bauete aus Religionseifer
Moscheen, Caravanserais und Grabmähler, wo überlall sie sich ausbreiteten. Sie
bedienten sich hiezu der runden Gestalt, weil sie die christliche Figur eines
Kreuzes, oder die alte griechische Art, die sie für abgöttisch hielten, nicht
nachahmen wollten; daher war auch alle Bildhauerei bei ihnen verboten. In allen
ihren eroberten Städten baueten sie sogleich Moscheen auf.
Faust: Wenn nur nicht wieder ein Quid pro quo, Kalk oder Staub in die Augen!
Linda: Die Zeiten gothischer Kirchen sind vorüber; der unsichtbare Bau in Salomons Hallen am Tempel der Menschheit gefällt mir mehr.
Faust: Du hast
mich herausgefordert, Horst. Wenn ich von Christoph Wrens Brüderschaft
der Freimäurer auf den Bergen mehr als jetzt weiss, sprechen wir darüber
weiter.
Linda: Ich
kannte ein wissbegieriges Kind, das im Garten Blumen aus de der Erde zog, um an
der Wurzel zu sehen, warum sie so schön blühten. Seyd Ihr nicht solche
Kinder? - "An
ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!" sprach unser
Meister. Wenn
eine Einrichtung da ist und Früchte bringt; möge sie entstanden seyn, wie sie wolle, möge
sie sich ihres Ursprungs zu freuen oder zu schämen haben, was kümmert uns
dieser?
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