"Es wird ihnen ein Vergnügen seyn,
die Wunder Gottes auch in dem Getreyde zu betrachten“
Der Freymäurer.
Seiten 257-264
Das XXXIII Stück.
Leipzig, Sonnabends, den 16 Aug. 1738.
Quid faciat laetas segetes.
Virgil.
Aurelian hat nunmehro bereits über vierzig Jahr gegessen und getrunken. Währender Zeit hat er nun wohl einmal gehört, daß sein Brodt aus Korn, seine Semmel und Kuchen aus Weizen, und sein Bier aus Gersten gemacht werde: Allein er hat sich niemals die Mühe genommen, zu untersuchen, was es für eine Beschaffenheit damit habe. So viel weis er, es wächst auf dem Felde, und man rechnet es, wie den Haber, welchen sein Kutscher für seine Pferde einkaufen muß, unter das, was man Getreyde zu nennen pflegt Doch nein, er weis auch noch mehr davon. Es ist ihm bekannt, daß es der Landmann um die itzige Jahreszeit einzusammlen pflegt, und daß man solcches erndten nennet. Wie sollte er das auch nicht wissen? Er höret ja, daß man itzo in den Kirchen Gott anruft, daß er bey angehender Erndtenzeit die Früchte des Landes segnen wolle. Wenn das nicht wäre: So würde es ihm freylich eben so unbekannt seyn, als die Art und Weise, wie sich das Getreyde vermehret, oder wie es zubereitet wird, ehe es uns zur Nahrung dienen kann. Was sollte er sich auch viel darum bekümmern? Man bringt ihm ja wöchentlich dreymal das Brodt auf den Markt, und wenn er sich zu Tische setzt: So findet er allezeit seine Semmel unter der Serviette.
Er hat sich um wichtigere und nutzbarere Sachen zu erkundigen, als um das Wachsthum des Korns und desselben Erndte. Zu erfahren, was für Briefe gesucht werden; ob es holländische, französische oder englische sind; wie hoch der Wechselcours ist; wo er seine Briefe mit Vortheil loswerden, oder anderer ihre mit Gewinn einkaufen kann, das ist ihm nützlich, und trägt etwas ein. Der Bauer mag für das Getreyde und die Besorgung des Ackers wachsam seyn; er wacht für die Vermehrung seiner Casse. Wenn er nur beym Empfange des Geldes unter tausend Thalern einen falschen Drittel von den wahren unterscheiden kann; wenn er nur keine nürnbergische Zweygroschenstücke mit einer VI für die, so mit einer XV bezeichnet sind, einnimmt: So gilt es ihm gleich viel, ob er eine Gerstenähre für Weizen, oder Rocken für Haber ansieht. Das ist sein Werk nicht; und er macht sich keine Schande daraus, wenn er nicht weis, ob das Getreyde auf Baumen wächst, wie Aepfel und Birnen, oder ob man es so aufliest, wie ehemals die Jüden das Manna, welches letztere ihn denn am wahrscheinlichsten zu seyn dünkt.
Ich rede hier nicht zuviel. Die Geschäffte des Aurelian haben ihn niemals erlaubt, aufs Land zu fahren, und er hat sich nie die Mühe genommen, aus seinem Wagen herauszusehen, wenn ihm etwa ein Fuder Korn begegnet ist, indem er sich nach seinem Garten begeben hat. In seinem Garten aber säet man kein Korn, daß er es da ungefähr hätte zu sehen bekommen können.
Wenn ich vermuthen dürfte, daß sich alle meine Leser so wenig um die Wirkungen der Natur, und um die große Weisheit und Güte Gottes, die sich darinnen zeiget, bekümmerten, als Aurelian: So würde ich bey mir anstehen, ob ich es wagen sollte, dieses Blatt mit solchen Betrachtungen anzufüllen, welche mir die gegenwärtige Erndtenzeit an die Hand gegeben hat. Allein ich bilde mir ein, daß viele davon so gesinnet seyn werden, wie ich. Es wird ihnen ein Vergnügen seyn, die Wunder Gottes auch in dem Getreyde zu betrachten. Sie werden auch dasjenige, was zu unserm täglichen Unterhalte unentbehrlich ist, mit Verwunderung gern ansehen, und in heiliger Ehrfurcht die unbegreiflichen Wirkungen der göttlichen Allmacht darinnen wahrnehmen. Sollte sichs auch wohl nicht der Mühe lohnen, auf dasjenige einige Achtsamkeit zu wenden, um dessen Erhaltung wir Gott täglich anrufen oder wenigstens bitten sollten?
Es ist eine Schande für uns, wenn wir dasjenige nicht kennen, was wir alle Tage gebrauchen. Indessen denken doch viele Leute nicht darauf, daß sie die wunderbaren Werke der Natur wollen kennen lernen, deren sie nicht Umgang haben können. Sie sind ihnen ganz gemein, und dennoch wissen sie nicht, was sie sind, und wie sie entstehen. Das unschuldige, einfältige und reine Vergnügen, welches aus der aufmerksamen Betrachtung derselben entspringt, ist nicht nach ihrem Geschmacke. Es ist viel zu einträchtig, als daß sie solches wählen könnten. Wenn ich aber die Wahrheit sagen soll: So kommen mir ihre Ergetzungen weit einträchtiger vor, als wenn man die unzähligen Veränderungen und Abwechselungen der Werke der Natur zu dem Gegenstände seines Ergetzens macht. Ueberall findet man etwas neues; überall etwas Verändertes, und man kann die Mannigfaltigkeit, die sich überall spüren läßt, nicht ergründen, wie viel Witz und Verstand man auch dazu anwendet.
Man kann sich ein angenehmes Schauspiel machen, wenn man sichs nicht verdrießen läßt, das Wachsthum eines einzigen Samenkorns zu beobachten; wenn man Achtung giebt, wie es nach und nach zunimmt, und immer größer wird; wenn man ihm bis zu seiner gänzlichen Vollkommenheit und völligen Reife nachfolget.
Cicero hat uns in seinem Buche vom Alter eine schöne Beschreibung von der Art und Weise gemacht, wie das Korn wächst. Ich habe solche jederzeit mit vielem Vergnügen gelesen, und will sie itzo auch denen bekannt machen, welchen sie noch nicht zu Gesichte gekommen ist. „Mich belustiget nicht nur“, sagt daselbst Cato, „der Nutzen, den man aus dem Ackerbaue hat, sondern auch die Kraft und Natur der Erde selbst. Wenn sie in ihrem locker gemachten und erweichten Schooße den hjneingestreuten Samen ausgenommen hat: So spaltet sie ihn von einander, wenn er erst durch ihre Dünste und durch ihren Druck erwärmt worden. Darauf lockt sie ein kleines grünes Spitzchen, wie Gras, aus ihm hervor, welches sich auf die Fäserchen der Wurzel stützet, und allgemach aufwachst. Es erhebt sich auf einem knotichten Halme. Nunmehro wird es gleichsam mannbar, und liegt in einer Art von Futterale oder Scheide eingewickelt. Wenn es aus diesen Scheiden herauskömmt: So bringt es die Frucht in der Aehre hervor, welche nach der Ordnung gesetzt ist, und es wird mit stachlichten Spitzen, gleichsam als mit einem Walle, verwahret, damit es die kleinen Vögel nicht abfressen.“
Wie schön diese Beschreibung auch ist: So kömmt sie doch lange noch nicht dem Urbilde gleich, und der Augenschein von dem allmähligen Zunehmen des Getreydes macht einen weit lebhaftern und annehmlichern Eindruck in unsere Seele.
Ich will nicht hoffen, daß man es für eine gar zu geringe Beschäfftigung der menschlichen Seele, eines so erhabenen Geistes, halten werde, wenn man sich in die Untersuchung des Wachsthumes eines so bekannten Gewächses einläßt. Anthekphylus wird freylich mehr Fleiß auf die Betrachtung einer americanischen Pflanze wenden. Er wird mit größerer Sorgfalt auf eine Aloe Acht haben, die itzt fertig steht, einen Stengel zu treiben und zu blühen. Er wird weit lieber an einer ausländischen Blume alle Blatter und Fädchen zählen, sie von einander schneiden und ihren Samen betrachten, als daß er seine kostbare Zeit auf das nützlichere Getreyde wenden sollte. Das kann er alle Jahre haben; die ausländischen Pflanzen aber verdienen ihrer Seltenheit wegen weit ehr seine Neubegierde. Darüber denkt Anthekphylus gar nicht mehr an die Felder seines Vaterlandes. Wäre er aber dabey nicht werth, daß er auch mit lauter Cacao oder Reiß gesättiget würde?
Doch so viel Wunderbares Anthekphylus an fremden Kräutern entdecken kann: So viel, ja vielleicht noch wohl mehr Wunderbares finden wir in dem Getreyde. Es ist eben so wenig für unsere Aufmerksamkeit zu schlecht, als es für unsere Nahrung zu schlecht ist. Wie verächtlich es auch von einigen Stadtleuten mag gehalten werden: So findet sich doch noch genug daran, worüber sich auch die größten Geister verwundern müssen. Gleichwohl sehen sie davon nichts mehr, als allein die gröbsten Gefäße, und so zu sagen, nur die Aussenwerke. Das ganze Geheimniß des Lebens, der Nahrung, der Vermehrung bleibt vor ihnen verborgen, wie eifrig sie sich auch bemühen, die Natur in der Arbeit zu finden, und wie glücklich sie auch in einem und dem andern Stücke auf ihre Kunstgriffe gekommen seyn mögen.
Man nehme nur einen einzigen Halm in die Hand. Kein Blättgen ist daran versäumet worden. Die Ordnung und Gleichheit der Theile fallen uns ganz sichtbar in die Augen. Er ist in einer schlanken dünnen Röhre aufgeschossen, und in unterschiedenen Absätzen mit dichten Knoten versehen, welche gleichsam die Bande sind, die eine zarte Röhre auf der andern fest halten. Durch diese Verbindung wird er gesteift, daß sich seine Spitzen in die Höhe erheben können. Wenn er nicht dadurch gestützet würde: So würde er leichtlich durch Wind und Regen zerknickt und zerbrochen werden; ja seine eigene Bürde könnte ihm schaden. Ausser diesen kommen mir die Knoten nicht anders vor, als die Drüsen in den lebendigen Körpern, worinnen dasjenige bereitet und abgesondert wird, was zur Erhaltung nöthig ist. Der Nahrungssaft schießt durch die weiten Röhren des Halms leichtlich durch, und würde also nicht genug zubereitet werden, wenn er nicht in diesen dichten Knoten einigen Aufenthalt fände, und darinnen geläutert, gereinigt, gekocht, oder sonst tüchtig gemacht würde, der Aehre dienlich zu seyn. Die Schwäche des Halmes aber scheint mir deswegen nöthig zu seyn, damit sich nicht die begierigen Vögel darauf setzen, und daran erhalten können, und die Körner also heraus fressen. Damit sie es aber auch nicht einmal durch ihren Flug versehren, oder mit ihren Flügeln herausschlagen: So sind die Körner mit einigen hoch über ihnen hervorstehenden Spitzen bewaffnet. Nicht nur die langen, sondern auch die kurzen Stacheln, welche die Aehre umgeben, und sie vor dem Bisse der Raupen und Würmer verwahren, sind recht wunderbar. Es ist unglaublich, wie sie so voller kleinen Zäserchen sind, die man kaum sehen kann. Wenn man sie unter ein Vergrößrungsglas bringt: So wird man mit Verwundrung entdecken, daß sich eine jede Spitze gleichsam wieder in eine Aehre verwandelt, die alle Theilchen von der wahren Aehre zu haben scheint, und mit eben so vielen Stacheln und Spitzen umringet ist.
Wenn das Korn noch grünet: So unterscheidet sich doch schon die Aehre von dem Halme, durch ihre besondere Art des Grüns. Fängt es aber nunmehro an zu blühen: So scheinen die Aehren ein wenig grau zu seyn, und haben dabey eine sanfte Mischung von Purpur. Anderer Früchte Blüthe reizet uns durch ihre Anmuth und Schönheit, sie anzusehn. Bey dem Korne hingegen ist sie ganz schlecht und ungeformt, und hat gar nichts reizendes an sich, wenn man nicht eben darinnen, daß sie nichts annehmliches hat, etwas Gefälliges findet.
Was entdeckt man nicht durch Hülfe der Vergrößerungsgläser an ihrem Samen! Er besteht, wie bey allen andern Pflanzen, hauptsächlich aus vier Theilen, nemlich aus einer Schale, einer inwendigen Haut, dem fleischichten Wesen, und einem dazwischen eingeschloßnen Pflänzchen. Einige alte Weltweisen haben den Samen für ein Ey gehalten, und er läßt sich auch füglich damit vergleichen. Denn dieses hat auch eine Schale, und unter derselben ein zartes Häutchen, es hat das Weisse und den Dotter, welches man mit dem fleischichten Wesen des Samens vergleichen kann; und dabey das lebende Pünctchen oder die Materie, woraus das Küchlein entsteht, welches mit dem Pflänzchen übereinkömmt.
Von was für Nutzen alle diese besondere Theilchen sind, das haben uns die Naturkündiger, und ins besondere Herr Wolf deutlich gezeiget. Die äussere Schale, welche etwas hart ist, dienet zu seiner Sicherheit, damit er weder durch Ungeziefer, noch durch überflüßige Feuchtigkeit, noch auf eine andere Art, Schaden nehme. Das innere zarte Häutchen, welches mit vielen Adern durchflochten ist, in welche sich der Nahrungssaft aus dem fleischichten Wesen zieht, führt solchen in das Pflänzchen, welches man eigentlich den Keim zu nennen pfleget. Das fleischichte Wesen, welches sich um denselben befindet, giebt ihm also die erste Nahrung. Er braucht sie aber nur so lange, als er noch nicht Wurzel hat. So bald er aber einige Zäserchen in die Erde gebracht: So holet er seine Nahrung von ihr, und dieses Theil des Korns verweset nunmehro, da es im Anfange recht dicke aufschwillt, um den Keim desto füglicher zu ernähren. Der Keim selbst aber ist dasjenige, was hernach zum Halme wird, und die Aehre trägt, um dessentwillen alles übrige da ist. Er wird zu einem kleinen Pflänzchen, und man will wahrgenommen haben, daß er gleich ein kleines Würzelchen, welches über das fleischichte Wesen hervorraget, ein Paar Blätterchen und ein Aeuglein, welches mitten in den Blätterchen stehe, haben solle, welches letztere man aber selten ehr entdecke, als wenn das Pflänzchen bereits über die Erde hervorgesprosset sey.
Was für eine Kraft und Wirkung hat nicht also Gott in den Samen gelegt! Er scheint ihm, durch ein einziges Wort, eine Art von Unsterblichkeit gegeben zu haben. Ein einziges Korn kann viele tausend Körner zeugen, wodurch in wenigen Jahren die ganze Welt besamet werden kann. Wie sehr muß man nicht über die wundernswürdige Vermehrung des Getreydes erstaunen. Es bringt nicht nur zehn, nicht nur hundert, sondern tausendfältige Frucht. Ein kleiner Vorrath, der kaum hinreichen würde, daß sich ein einziger Mensch davon ein Jahr-lang erhalten könnte, kann nach Verlauf eines Jahres hundert Personen überflüßig sättigen. Wo irgend eine Sache die sich überall erstreckende Vorsorge Gottes, und dessen Allmacht andeuten kann: So ist es dieses; da ungeachtet so vieler begierigen Vögel, Thiere, als Hamster, Mäuse u. a. so vieles Gewürmes, welches man nicht alles zählen, noch nennen kann, die insgesamt theils den Samen, theils die Frucht aushacken, wegtragen, verzehren oder sonst beschädigen, wir dennoch jährlich so reichlich einerndten.
Meines Nachbars, Pronoes, Sohn brachte mir neulich eine Gerstenähre, die er in seines Vaters Garten gepflanzt hatte, welche aus 12 großen und 7 kleinen Aehren bestund, die alle voller Körner waren. Ich zeigte sie meinem Verwalter, welcher der Meynung war, daß sie aus vielen Körnern hervorgekommen seyn müsse, die sich ungefehr an einem Orte beysammen gefunden hatten, und so in eins zusammen gewachsen wären. Allein Pronoes, dem ich seiner besondern Aufmerksamkeit wegen eine große Erfahrung und gründliche Einsicht in diesen Sachen Zutrauen kann, hielt nicht dafür, daß aus vielen Keimen nur eine Aehre werden könnte, welche die andern alle in sich hielte.
Ich erinnerte mich hierbey, gelesen zu haben, daß Herr Denis, ein französischer Leibarzt, in seinen vielmals hierüber angestellten Versuchen mehr als zweihundert Aehren aus einem einzigen Körnchen getrieben habe. Auf meiner Reise zeigte man uns, in einem gewissen Kloster zu Paris, einen dicken Gerstenbusch von 249 Halmen, die alle aus einem Körnchen ensprossen seyn sollten, und daran man über 18 000 Körner zählete.
Bey dieser Gelegenheit kamen wir auf die Untersuchung der natürlichen Ursachen einer so wunderbaren Vermehrung. Pronoes bewies erstlich, daß in einem Körnchen Getreyde der Keim nicht mehr, als einen Halm mit einer Wurzel, in sich fasse. Hingegen, sagte er, liegt überall, wo ein Blatt steht, im Marke eben ein solcher Keim, wie in dem Samen verborgen. Man erkennt dieses daher daß sich auch aus den bloßen Blättern Baume ziehen, laßen, und daß aus Zweigen und Reben, die man in die Erde legt, Sträucher und Weinstöcke wachsen. Hieraus folget, daß wenn aus einem Samenkörnchen viele Aehren wachsen sollen, dasselbe tief genug unter die Erde kommen, andern nicht zu nahe stehen, und ein gutes Erdreich haben müsse, das ihm gnug Nahrung verschaffen könne.
An statt der Sittenlehre in diesem Blatte will ich ein Paar Verse aus einem berühmten Dichter hersetzen, der sich mit Beschreibung der Schönheiten und Reichthümer der Natur ein irdisches Vergnügen in Gott macht.
Willst du Mensch des Himmels Segen, In des Samens Eigenschaft Inder fetten Erde Saft Nicht erwegen? Danke Gott, der dir die Speise Auf so wunderbare Weise, In so reicher Maaße reicht! Laß es dich zur Andacht reizen, Wenn aus klein zerstampftem Weizen Dein Geblüt sein Wesen zeucht.
B.
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